Elfenblick
Kränze für eine Beerdigung, üppig dekoriert mit weißen Lilien und Calla und jeder Menge Nelken. Rosann befestigte gerade ein breites Band mit goldener Umrandung an einem Kranz, der aus unzähligen dunkelroten Rosen bestand. »Goodbye, Charlie« stand darauf.
»Ich frage mich, wer dieser Charlie war. Und wer auf die Idee kommt, einen Trauerkranz mit solchen Massen an roten Rosen zu bestücken. Ob Charlie wohl eine heimliche Geliebte hatte, die der trauernden Witwe auf diesem letzten Weg noch eins auswischen will?« Rosann betrachtete nachdenklich ihre Arbeit.
»Du bist immer so unglaublich negativ. Ich glaube, Charlies Frau hat ihn wirklich geliebt und will das auch über seinen Tod hinaus zeigen.«
»Wow, seit wann bist du denn so eine Romantikerin?« Rosann blickte erstaunt auf. Dann grinste sie anzüglich. »Ach, ich verstehe, du hast doch nicht etwa gerade an deinen Traumprinzen gedacht?«
»Blöde Nuss!« Magelis Wangen färbten sich verdächtig. »Man wird ja wohl noch von der wahren Liebe träumen dürfen.«
»Pass bloß auf! Demnächst liest du diese kitschigen Romane, in denen die Krankenschwester am Ende immer den Oberarzt bekommt.«
»Und was liest du hier?« Mageli griff nach der Zeitung neben Rosann auf dem Boden, die Susa normalerweise benutzte, um Blumen darin einzuwickeln.
»Todesanzeigen?« Mageli schüttelte in gespieltem Entsetzen den Kopf. Sie war froh, ein Thema gefunden zu haben, mit dem sie Rosann von Erin ablenken konnte. »Mir war ja durchaus bewusst, dass du eine morbide Ader hast. Wer außer dir treibt sich schon gern freiwillig auf Friedhöfen herum? Aber jetzt liest du auch noch zum Spaß die Todesanzeigen. Findest du das nicht ein bisschen zu makaber?«
»Na, hör mal! Das sind Sozialstudien.« Rosann tat ebenfalls empört. »In Todesanzeigen steckt das ganze Drama des Lebens drin! Das ist spannender als jeder Krimi!«
Mageli schnaufte und Rosann nahm ihr die Zeitung aus der Hand.
»Hier, zum Beispiel. Aus diesem Stoff könnte man eine überirdische Liebesgeschichte machen. Als frisch bekehrte Romantikerin müsste dir das gefallen.« Rosann bog ihren Oberkörper in einer theatralischen Pose zurück und deklamierte dramatisch: »›Ich sterbe, aber meine Liebe zu dir stirbt nicht. Ich werde dich vom Himmel aus lieben, wie ich dich auf Erden geliebt habe.‹«
Mageli verdrehte die Augen.
»Oder hier. Ein spannender Krimi!« Rosann hatte die Zeitungsseite umgedreht. »›Wir trauern um unsere langjährige, zuverlässige Mitarbeiterin Frau Monika Theissen, die einem grausamen Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Möge sie in Frieden …‹ He!«, schimpfte Rosann, als Mageli ihr die Zeitung aus den Händen riss.
Entgeistert starrte Mageli auf das Zeitungsblatt. Monika Theissen, so hieß doch die Hebamme, die ihr vorgestern die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte. Und jetzt sollte sie tot sein? Einem grausamen Verbrechen zum Opfer gefallen? Was hatte das zu bedeuten? Mageli beschlich das ungute Gefühl, dass es sich dabei nicht um einen tragischen Zufall handelte.
»Seid ihr so weit?« Susa steckte den Kopf durch die Tür.
»Ja, ich denke, wir können los.« Rosann kam umständlich auf die Füße und stupste Mageli gegen die Schulter. »Falls Fräulein Meyer aus ihrer Totenstarre erwacht, versteht sich.« Mageli blickte sie verwirrt an.
»Willst du ernsthaft in diesem dreckigen Kleid zu dem Konzert gehen?«, ging Susa über Rosanns Bemerkung hinweg.
»Susa, du klingst voll muttermäßig.« Rosann blickte kritisch an ihrem schwarzen Kleid mit den trompetenförmigen Ärmeln hinunter. »Wieso denn nicht? Wir haben einen Auftritt in einem Altersheim und an diesem Kleid klebt ausschließlich der Dreck von Trauerkränzen. Das passt doch prima.«
Susa schielte genervt zu Mageli hinüber. Der Schlagabtausch zwischen Mutter und Tochter holte Mageli zurück in die Realität und sie lachte befreit.
Rosann nahm einen Lappen von der Spüle und wischte hektisch an den dunklen Flecken auf ihrem Rock herum. Natürlich würde Rosann niemals mit einem dreckigen Kleid irgendwohin gehen. Mageli legte weit weniger wert auf ihre Klamotten. Zu ihrer Jeans trug sie eine weiße Bluse, die aussah wie ein Herrenhemd. Um genau zu sein, war es ein Herrenhemd, das sie Jost vor einiger Zeit abgeschwatzt hatte.
»Okay, dann los.« Susa scheuchte die beiden zur Tür hinaus. »Ihr könnt schon mal einsteigen, die Luxuskarosse ist offen. Ich schließe nur schnell den Laden ab.«
Luxuskarosse war so
Weitere Kostenlose Bücher