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Elfenblick

Elfenblick

Titel: Elfenblick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Lankers
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einigen fröhlichen Liedern beginnen werden.« Die Frau klatschte in die Hände und auch aus dem Publikum war verhaltener Applaus zu hören.
    Es dauerte eine Weile, bis alle Schüler über die schmale Treppe auf die Bühne gestiegen waren und Jodel-Ursel sie in die gewünschte Aufstellung gebracht hatte. Schließlich zog sie eine Stimmgabel aus ihrem Ausschnitt und gab den Sängern die Töne. Sie hatten zwei beliebte Volkslieder einstudiert, so einfach, dass selbst diese Truppe sie kaum verhunzen konnte. Viele der alten Leute klatschten im Takt oder sangen begeistert mit.
    Nach dem Chorauftritt gingen Johan und Derek mit ihren Gitarren auf die Bühne. Die zwei spielten in einer Rockband mit drei Leuten aus dem Abschlussjahrgang. Ziemlich gut sogar, wie Mageli beim letzten Schulfest festgestellt hatte. Heute hatten sie allerdings ihre Akustikgitarren dabei und gaben etwas Klassisches zum Besten. Vermutlich hatte Jodel-Ursel es ausgesucht. Mageli kannte es nicht, aber ihr gefiel die melancholische Melodie, die sich in Wellen durch das Stück zog.
    Es folgte eine Gruppe von Altenpflegerinnen, die einige Sketche einstudiert hatten. Eine ziemlich peinliche Angelegenheit! Die Vorstellung dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Rosann war offensichtlich ähnlicher Ansicht: Sie schob ihren Zeigefinger in den Mund und tat so, als müsste sie sich übergeben. Mageli biss die Zähne zusammen, um nicht an einer unpassenden Stelle loszulachen.
    »Und jetzt bitte ich Sie, Frau Inga Sigrunsdottir zu begrüßen.« Die rundliche Frau in dem geblümten Kleid stand wieder am Mikro. »Frau Sigrunsdottir wohnt seit einem knappen Jahr in unserem Haus. Am Namen haben Sie vielleicht schon gemerkt, dass sie aus Island stammt. Frau Sigrunsdottir hat sich freundlicherweise angeboten, uns Sagen aus ihrer Heimat zu erzählen. Applaus, bitte.«
    Unter dem müden Klatschen des Publikums trat eine alte Dame auf die Bühne, die Mageli vage bekannt vorkam. Sie war klein und sehr dünn, trug eine graue, ausgebeulte Strickjacke, die vermutlich schon bessere Zeiten gesehen hatte, sowie eine geringelte Wollmütze auf dem Kopf, die sie garantiert selbst gestrickt hatte. Mageli dachte an Frau Matuschek und überlegte, ob sich wohl alle alten Leute viel zu warm für die Jahreszeit anzogen. Die Frau auf der Bühne stützte sich auf ihren Gehstock, während sie langsam zu einem Sessel ging, den zwei Pfleger für sie bereitgestellt hatten. Plötzlich fiel Mageli wieder ein, wo sie die Frau schon einmal gesehen hatte. Sie war gestern auf dem Weg zum Krankenhaus fast in sie hineingerannt!
    Frau Sigrunsdottir rückte sich den Mikrofonständer näher heran und setzte sich umständlich in den dunkelroten Sessel. Sie lächelte ein bisschen schüchtern und räusperte sich.
    »Ich lebe schon viele Jahre hier in Deutschland«, begann sie zu erzählen. Ihre Stimme war überraschend tief, ein wenig rau, aber nicht wackelig. Sie sprach akzentfrei, nur die Sprachmelodie klang etwas ungewohnt.
    »Meine Kindheit habe ich in Island verbracht. Meine Heimat ist ein außergewöhnliches Land, dessen Erscheinung von enormen Kontrasten bestimmt wird: riesigen schwarzen Lavafeldern, saftig grünem Moos, rauen Felslandschaften und glitzernden Gletschern. Ein wunderbares Land! Aber ich möchte Ihnen heute nicht von dem erzählen, was auf unserer Insel für alle Welt sichtbar ist. Ich will Ihnen davon berichten, was für die meisten Menschen unsichtbar bleibt.« Frau Sigrunsdottir räusperte sich erneut. »Ich möchte Ihnen vom verborgenen Volk erzählen.«
    Im Saal herrschte plötzlich gespannte Stille. Alle Augen waren auf die kleine Frau in dem großen Sessel gerichtet.
    »Die Geschichten über die verborgene Welt, die man bei uns erzählt, sind schon sehr alt«, fuhr Frau Sigrunsdottir fort. »Sie stammen aus der Zeit, als unsere Vorfahren mit ihren Drachenbooten auf die Meere hinauszogen. Ich möchte Ihnen heute die Geschichte erzählen, wie es dazu kam, dass das verborgene Volk für die Menschen unsichtbar wurde.«
    Inga Sigrunsdottir legte erneut eine kurze Pause ein. Ihre Wangen hatten eine gesunde Rötung bekommen, und sie wirkte jünger, wenn sie sprach. Als sie mit ihrer Erzählung fortfuhr, nahm ihre Stimme plötzlich einen veränderten Klang an. Man hatte nicht mehr den Eindruck, dass sie die Worte erst im Kopf formte und dann aussprach. Vielmehr schien es Mageli, als wären diese Wörter schon immer da gewesen und Inga Sigrunsdottir gab sie nur an ihre Zuhörer weiter.
    »Es gab

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