Elfenblick
den Kopf standen.
»Egal, alles.« Mageli konnte es kaum erwarten, mehr über ihn zu erfahren.
»Gut, dann frag mich etwas.«
»In Ordnung«, sagte Mageli schnell. Das war ihre Chance. »Was machst du den ganzen Tag? Musst du zur Schule gehen? Hast du Hobbys? Was machst du in deiner Freizeit? Was hast du für Freunde?« Als sie Erins Grinsen bemerkte, hielt Mageli den Mund.
»Hab ich etwas Falsches gesagt?«, fragte sie unsicher.
»Nein, nein, das waren nur so viele Fragen auf einmal, und ich hatte das Gefühl, du hast gerade erst angefangen.« Dennoch schien Erin sich zu freuen, dass Mageli so viel von ihm wissen wollte. »Ich fange einfach mal mit der ersten Frage an, wenn es dir recht ist. Allerdings habe ich eine Gegenfrage. Was ist eine Schule?«
Mageli lachte. »Großes Haus, viele junge Leute und ein paar Lehrer, die versuchen, den jungen Leuten etwas beizubringen, was ihnen in den meisten Fällen nicht gelingt.«
»Aha. Ich gehe nicht zur Schule, so was gibt es bei uns nicht. Ich muss aber trotzdem eine Menge lernen. Ich habe sehr gute Lehrmeister, die mich unterrichten. Am meisten Spaß habe ich am Schwertkampf, überhaupt bin ich ziemlich gut in den Kampftechniken.«
»Das hab ich gesehen«, unterbrach ihn Mageli und Erin belohnte sie mit einem kleinen Lächeln.
»Was mir gar nicht liegt, sind die Unterweisungen in den magischen Künsten. Da will mir nichts richtig gelingen.«
»Das geht mir mit Mathe genauso«, unterbrach Mageli ihn erneut. »Und was machst du, wenn du keinen Unterricht hast?«, schob sie schnell hinterher.
»Die meiste Zeit verbringe ich im Unterricht«, fuhr Erin bereitwillig fort. »Und sonst …« Er zögerte. »Ich schnitze gern. Ich lese. Ich mag Musik, richtige Musik«, fügte er mit einem amüsierten Zwinkern in Richtung der Boxen hinzu. Doch mit einem Mal legte sich ein Schatten über seine Augen und das Lächeln verschwand.
»Was?« Mageli entging der plötzliche Stimmungsumschwung nicht.
»Ich musste nur gerade an jemanden denken.«
»An wen?«, hakte Mageli nach.
»Meine Mutter«, erwiderte Erin ruhig. »Deine Bemerkung über die Flöte vorhin hat mich darauf gebracht. Meine Mutter konnte wunderbar Flöte spielen. Schöner als irgendeine andere Elfe. Ich habe ihr als Kind stundenlang zugehört …«
»Konnte?«
»Sie ist tot. Sie starb, als ich noch klein war.«
»Oh.«
Erin starrte zu dem schmalen Fenster hinauf. Draußen war nichts als Dunkelheit. Der Ausdruck in seinen Zauberaugen, den sie bei ihrer ersten Begegnung nicht hatte deuten können, kam Mageli in den Sinn. Jetzt begriff sie. Erin war traurig, tief drinnen. Und sie fühlte sich ihm so nah wie nie zuvor.
»Komm mal her.« Mageli flüsterte fast.
Erin schaute verwundert und kam unsicher zum Bett herüber.
»Setz dich.« Sie klopfte neben sich auf die Bettdecke.
»Ich verstehe dich gut«, sagte sie leise und strich vorsichtig mit dem Zeigefinger über seine große Hand. »Ich kann mir vorstellen, wie schwierig es gewesen sein muss, ohne Mutter aufzuwachsen. Auch wenn meine Mutter immer da war, habe ich mich trotzdem oft schrecklich allein gefühlt.«
Erin blickte sie unverwandt an – mit diesem Blick, bei dem Magelis Hirn den Dienst versagte.
»Wir sind uns so ähnlich«, sagte er. »Und doch so verschieden. Als lebten wir in zwei getrennten Welten. Ich in der Welt der Elfen und du in der Welt der …«
»Menschen«, beendete sie den Satz für ihn.
»Menschen«, bestätigte er, als sei das für ihn ebenso verrückt wie für sie die Vorstellung von einem Elfenreich. »Das verlorene Land«, murmelte er so leise vor sich hin, dass Mageli nicht sicher war, ob sie es überhaupt hören sollte.
»Wie bitte?«
»Nichts«, beeilte Erin sich zu sagen. Wieder lauter fuhr er fort. »Ich weiß einfach nicht, wie ich von der einen in die andere Welt wechseln kann. Es passiert einfach. Im einen Moment bin ich im Palast, im nächsten hier bei dir und dann wieder dort. Ich kann es nicht beeinflussen.«
Erins Gesichtsausdruck war jetzt so ernst, ja beinahe betrübt, dass Mageli fast alles getan hätte, damit er wieder fröhlicher wurde. Sie nahm all ihren Mut zusammen und griff nach seiner Hand. Und tatsächlich: Er lächelte sie an, ein bisschen traurig vielleicht noch, aber immerhin, und verschränkte seine Finger mit ihren. Mageli versuchte, das heftige Kribbeln zu ignorieren, das daraufhin in ihrem Arm ausbrach.
»Kriege ich noch ein paar Antworten?«, fragte sie mit möglichst unbewegter
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