Elfenblick
Stimme.
»Was willst du wissen?« Erin drückte ihre Hand und setzte sich im Schneidersitz aufs Bett.
»Hm«, sie betrachtete ihn. »Ob alle Elfen so gut aussehen.«
Ups, Mageli wurde rot und am liebsten hätte sie sich auf die Zunge gebissen. Irgendwie hatte sie ihre Gedanken einfach nicht unter Kontrolle, wenn Erin in ihrer Nähe war.
»Danke für das Kompliment.« Erins Lächeln wurde verschmitzt, aber er tat, als würde er gar nicht bemerken, wie peinlich Mageli ihre Frage war. »Ich denke, dass wir Elfen schon recht gut aussehend sind. Zumindest die Lichtelfen. Die Dunkelelfen würde ich nicht als besonders hübsch bezeichnen. Du hast ja die zwei Kerle auf der Lichtung gesehen. Die sahen eher zum Abgewöhnen aus, oder?«
Mageli schauderte. Die beiden Männer, die sie im Wald überfallen hatten und vor denen Erin sie beschützt hatte, sollten Elfen gewesen sein? Dunkelelfen, um genau zu sein …
»Lichtelfen, Dunkelelfen, wo ist denn der Unterschied?«, fragte sie verwirrt.
»Im Grunde sind wir zwei Gruppen ein und desselben Volkes. Ich gehöre zu den Lichtelfen. Allerdings leben wir schon eine ganze Weile im Reich der Dunkelelfen. Warum, kann ich dir nicht so genau sagen, das war lange, bevor ich geboren wurde, und niemand spricht darüber.«
Mageli schaute ihn fasziniert an. Das hier war besser als alle Romane, die sie je gelesen hatte.
»Und warum hast du deinen Vater vorhin als sogenannten Herrscher bezeichnet?«
»Tja, das ist schwierig zu erklären«, druckste Erin herum.
»Ich denke, ich werde es schon kapieren.«
»Gut, also, die Herrscher über das Elfenreich waren seit jeher die Lichtelfen. Meine Familie sitzt seit sechs Generationen auf dem Elfenthron. Und das ist eine sehr lange Zeit, denn die meisten Könige und Königinnen herrschten mehrere Hundert Jahre lang, bevor sie zugunsten eines Sohnes oder einer Tochter abdankten. König Livian, mein Vater, trägt die Krone bereits seit beinahe dreihundert Jahren. Er gelangte als Kind auf den Thron, und es gab einmal eine Zeit, als er ein starker und weiser König war, so ist es zumindest in den Büchern nachzulesen, und viele am Hof sprechen auch noch mit großer Ehrfurcht davon.«
Erin machte eine Pause, und Mageli konnte spüren, wie unangenehm es ihm war, über seinen Vater zu sprechen. Sie drückte Erins Hand und er redete mit leiserer Stimme weiter.
»Aber inzwischen tut mein Vater sich schwer mit den wichtigen Entscheidungen, die er als Elfenkönig zu treffen hat. Deshalb hat er einige enge Berater, die ihn in diesen Entscheidungen unterstützen. Nicht immer zum Besten, finde ich. Manchmal habe ich den Eindruck, einige seiner Berater herrschen über das Elfenreich und nicht mehr er selbst.« Zum Ende seiner Erklärung war Erins Stimme auf einmal lauter und zornig geworden.
»Meinst du, dass du ein besserer König wirst?«, schoss es aus Mageli heraus. Erin versteifte sich und sie hätte die Frage am liebsten zurückgenommen. »Du wirst doch König, oder?«
»Ja, ich werde irgendwann König, aber das ist sicher noch eine Weile hin. Jetzt bin ich noch zu jung dafür.«
Mageli hatte bemerkt, dass Erin ihre erste Frage nicht beantwortet hatte, aber sie wollte ihn auch nicht drängen. Stattdessen fragte sie: »Wie alt bist du eigentlich?«
»Sechzehn.«
»Echt?«
»Ja, wieso?«
»Das klingt so komisch, wenn du erst erzählst, dass dein Vater seit dreihundert Jahren regiert, und dann sagst, dass du sechzehn bist.«
»Irgendwann werden wir halt geboren. Bei mir war das vor sechzehn Jahren. Wie alt bist du denn?«
»Auch sechzehn.«
»Siehst du.«
»Aber meine durchschnittliche Lebenserwartung liegt nicht bei mehreren Hundert Jahren. Menschen sterben in der Regel mit siebzig oder achtzig Jahren. Manche werden auch hundert, aber das sind wirklich die allerwenigsten. Ich weiß gar nicht, ob mir das gefallen würde«, sagte Mageli nachdenklich. »Ich meine, so alt zu werden.«
»Warum?« Erin wirkte verwundert.
»Wird einem die Zeit nicht furchtbar lang?«
»Du hast Sorgen.« Erin drückte ihre Hand. »Es kommt doch darauf an, wie man sie nutzt«, sagte er und schenkte ihr sein schönstes schiefes Lächeln.
»Und wie viel Zeit bleibt uns?«, fragte Mageli. »Ich meine, bis du wieder verschwindest.«
»Wenn ich das wüsste.« Ein bekümmertes Lächeln schlich über seine Lippen. »Aber ich denke, wir sollten diese Zeit gut nutzen.«
Er ließ ihre Hand los, und als Mageli protestieren wollte, lehnte er sich zu ihr hinüber und
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