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Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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starrten sie unverhohlen neugierig, manche aber auch eindeutig erschrocken aus großen Augen an. Ein vor Schmutz starrendes Kind, dessen Geschlecht unter der dicken Dreckschicht auf seinem Gesicht nicht einmal zu erraten war, deutete heftig gestikulierend in ihre Richtung und fuhr dann auf dem Absatz herum, um schreiend davonzulaufen.
    »Ja, das muss ungefähr das sein, was Brack sich unter dem Wort unauffällig vorgestellt hat«, sinnierte Alica und quittierte Pias ärgerlichen Blick mit einem bekräftigenden Nicken. Gleichzeitig schlang sie den Umhang enger um die Schultern und schauspielerte ein übertriebenes Frösteln. »Aber gegen einen gemütlichen Spaziergang im hellen Sonnenschein wird er sicherlich nichts einzuwenden haben.«
    Pia sparte sich jeden Kommentar, zog aber beinahe ohne ihr eigenes Zutun die Kapuze ein wenig tiefer ins Gesicht und setzte endlich ihren Weg fort, langsamer und ohne irgendeine bestimmte Richtung zu wählen. Ebenfalls ohne ihr Zutun und beinahe ohne sich dessen bewusst zu sein, suchte ihr Blick die Fassaden der Häuser rechts und links der Straße ab, vor allem aber die Silhouetten der anderen Spaziergänger, um sich zu überzeugen, dass tatsächlich keiner unter ihnen war, der vielleicht durch Größe und Wuchs aus der Masse herausstach, oder unter dessen Mantel sich vielleicht ein struppiger Fellumhang verbarg, ein hässliches Gesicht oder ein noch hässlicheres Schwert.
    Erst danach hob sie den Blick, ließ ihn aufmerksam über die spitzen Dächer der strohgedeckten Häuser vor ihnen schweifen und fixierte dann den schwarzen Koloss im Herzen der Stadt. Sie hatte das Gefühl, jetzt weiter davon entfernt zu sein als am Morgen (obwohl das natürlich ganz und gar unmöglich war), und damit nicht genug, kam er ihr auch noch düsterer vor, die Schatten tiefer, das Schwarz seiner zyklopischen Wände intensiver. Vielleicht hatte Alica ja recht. Vielleicht war es keine gute Idee, dorthin zu gehen.
    Sie verscheuchte diesen albernen Gedanken, ohne ihn jedoch ganz loszuwerden, während sie sich mühsam dem hier üblichen gemächlichen Schlendern anpassten und mit gesenktem Kopf und noch weiter gesenkten Schultern ihren Weg durch die schmalen, oft genug hoffnungslos verwinkelten Gässchen und Straßen WeißWalds suchten. Dann und wann hob Pia den Blick, um den schwarzen Turm vor ihnen zu fixieren, die meiste Zeit über war er allerdings starr zu Boden gerichtet; eine für ihre Begriffe geradezu demütigende Art, sich zu bewegen, aber ihre innere Stimme riet ihr immer drängender, wenigstens insoweit auf Alicas Warnung zu hören und nicht noch mehr Aufsehen zu erregen, als sie es ohnehin schon getan hatten.
    Alica setzte dazu an, etwas zu sagen (von dem Pia mutmaßte, dass sie es nicht hören wollte), doch in diesem Moment brach vor ihnen etwas wie ein kleiner Tumult aus. Überrascht und alarmiert zugleich blieben sie stehen, aber die Aufregung und das Stimmengewirr galten nicht ihnen. Ein in zerfetzte Lumpen gekleidetes Kind schoss aus einem der schmalen Gässchen gleich vor ihnen heraus, rannte im Zickzack über die Straße und verschwand zwischen den Häusern auf der gegenüberliegenden Seite. Nur einen Atemzug später rannten zwei Soldaten der Stadtwache hinter ihm her, mit wehenden Mänteln und drohend erhobenen Speeren.
    »Keine Chance«, sagte Alica schadenfroh. »Den holen sie nie ein.«
    Pia überlegte einen Moment, was das Kind wohl getan haben mochte, um von zwei bewaffneten Männern verfolgt zu werden, die auch ganz den Eindruck machten, als würden sie ihre Waffen benutzen, sollten sie seiner habhaft werden … was aber nicht sehr wahrscheinlich war. Pia hatte aus ihrer eigenen Jugend genug Erfahrung in solchen Dingen, um zu wissen, dass der Knirps ihnen entkommen würde. Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf ihre Lippen, als sie weitergingen. Wahrscheinlich, dachte sie, hatte sich der Knirps nichts Schlimmeres zu Schulden kommen lassen, als einen Apfel zu stehlen oder einen etwas zu derben Scherz zu machen, aber manche Dinge, dachte sie nicht zum ersten Mal, waren offensichtlich tatsächlich in allen Welten gleich. Irgendwie hatte der Gedanke etwas Beruhigendes.
    Als sie ihren Weg fortsetzten, fiel Pia etwas auf, das sie zuvor vielleicht registriert, aber nicht wirklich begriffen hatte. Abgesehen von allem anderen gab es zwischen WeißWald und den Favelas (und eigentlich jeder anderen Stadt, die sie kannte) einen fundamentalen Unterschied: Je mehr sie sich dem Stadtzentrum

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