Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elfenblut

Elfenblut

Titel: Elfenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
sich ein rundes, ausladendes Zelt, das vor sehr langer Zeit einmal prächtig ausgesehen haben mochte, jetzt aber nur noch schäbig war. Ehemals bunte Wimpel mit nahezu vollkommen verblassten Farben hingen wie traurig gebrochene Papageienflügel an seinen Flanken herab, der Stoff war an unzähligen Stellen geflickt und mit mehr gutem Willen als wirklichem Können repariert, und auf der linken Seite gab es einen großen Brandfleck, als hätte jemand vor nicht allzu langer Zeit versucht, das Zelt samt seinen Bewohnern anzuzünden.
    »Du willst doch nicht etwa dort rein?«, murmelte Alica. »Also, nichts gegen deinen Mut. Du musst mir nichts beweisen, aber …«
    Sie verstummte, als Pia ganz offensichtlich gar nicht daran dachte, auf ihre Warnung zu hören, sondern ganz im Gegenteil schneller ging. Das Kind hatte sich immer noch nicht von der Stelle gerührt, doch als Pia es fast erreicht hatte, wirbelte es wieder herum und verschwand hinter dem schmalen Eingang. Pia versuchte in dem Sekundenbruchteil, den es dafür brauchte, einen Blick ins Innere des Zeltes zu werfen, sah aber nichts als vages rötliches Licht und durcheinanderhuschende Schatten.
    Gerade als sie die Hand nach der Zeltplane ausstrecken wollte, kam auch Lasar bei ihnen an. Er war vollkommen außer Atem und trug ein unordentlich zusammengedrücktes, helles Bündel unter dem Arm. »Das solltet Ihr nicht tun, Erhabene«, stieß er hervor. »Das hier ist kein guter Ort.«
    Pias Stiefel wollten weitergehen. Es kostete sie spürbare Überwindung, stehen zu bleiben und sich halb zu dem Jungen umzudrehen. »Wieso?«
    Lasar warf einen ebenso raschen wie eindeutig beunruhigten Blick in die Runde, bevor er antwortete. »Ich kann hier nicht für Eure Sicherheit garantieren.«
    Pia blinzelte, maß den kaum anderthalb Meter großen, schmächtigen Jungen mit einem beredten Blick und beließ es darüber hinaus bei einem Schulterzucken. Ohne ein weiteres Wort schlug sie die Zeltplane zur Seite und trat ein. Sie war nicht überrascht, als Alica ihr folgte, und noch viel weniger, als Lasar es nicht tat.
    Das Innere des Zeltes erweckte auf den ersten Blick den schon fast unheimlichen Eindruck, deutlich größer als sein Äußeres zu sein, was wohl an der schwachen, aber äußerst geschickt eingesetzten Beleuchtung lag. Vielleicht auch daran, dass es bis auf einen niedrigen Tisch mit zwei noch kleineren dreibeinigen Schemeln vollkommen leer war. Erneut fiel ihr auf, dass jegliches Mobiliar hier gerade eine Winzigkeit zu klein war, um richtig auszusehen. Das knappe Dutzend ruhig brennender roter Kerzen erzeugte eine Atmosphäre, die irgendwo zwischen anheimelnd und unheimlich lag, und die junge Frau, die an dem kleinen Tisch saß und ihr unverhohlen neugierig entgegensah, verstärkte dieses Gefühl noch. Sie hatte langes, bis weit über die Schultern fallendes, gelocktes Haar (erst jetzt, bei ihrem Anblick, wurde Pia klar, dass es überhaupt die erste Frau in WeißWald war, die sie ohne Kopfbedeckung sah – wenn sie Malu und ihr zweifelhaftes Etablissement einmal außen vor ließ), ein schmales Gesicht und ebenso schmale, gepflegte Hände mit nicht ganz so gepflegten Fingernägeln. Das war alles, was Pia von ihrer Gestalt erkennen konnte. Der Rest verbarg sich unter dem hier üblichen unförmigen …Etwas, von dem die Bewohner dieser Stadt glaubten, es wäre Kleidung. Das vielleicht Sonderbarste an ihr waren die Augen. Sie waren hell, wach und blickten durchdringend genug, dass es sich eigentlich unangenehm hätte anfühlen müssen, was es aber nicht tat. Pia konnte sich nicht dagegen wehren – sie fühlte sich sofort von dieser Frau eingenommen.
    »So, jetzt hast du alles gesehen«, sagte Alica neben ihr. »Können wir wieder gehen?« Ohne dass es ihr wahrscheinlich selbst bewusst war, hatte sie ihre Stimme zu einem Flüstern gesenkt, aber Pia entging das sachte Zittern darin trotzdem nicht.
    Sie ignorierte sie, trat mit zwei raschen Schritten an den Tisch heran und fragte sich beiläufig, wo das Kind geblieben war, das sie hierhergeführt hatte. Hier drinnen war es jedenfalls nicht, und es gab auch absolut nichts, wo es sich hätte verstecken können. Doch der Gedanke entglitt ihr, noch bevor sie ihn ganz zu Ende denken konnte.
    »Setzt Euch, Erhabene.« Die dunkelhaarige Frau machte eine knappe Geste, von der Pia nicht ganz sicher war, ob sie befehlend oder einladend sein sollte. Jedenfalls gehorchte sie ihr. Der Blick der seltsam durchdringenden Augen ließ sie keine

Weitere Kostenlose Bücher