Elfenblut
nicht zu viel.«
Der Gedanke, allein dort hineinzugehen, bereitete ihr beinahe körperliches Unbehagen. Aber sie konnte und wollte jetzt auch nicht kehrtmachen. Dass Lasar nach all der Zeit noch immer lebte, erschien ihr unglaublich genug, und jetzt einfach wieder zu gehen, ohne ihn wenigstens noch einmal gesehen zu haben, wäre ihr nicht nur feige vorgekommen (und es gewesen), sondern auch wie ein Verrat an ihm. Nach allem, was er für sie getan hatte, ein vollkommen unerträglicher Verrat.
Sie betrat das Haus und war zunächst praktisch blind, aber nicht orientierungslos. Die schmalen Papierfenster waren nicht abgedunkelt, wie sie im ersten Moment angenommen hatte, sondern einfach so schmutzig, dass sie praktisch kein Licht mehr durchließen. Irgendwo vor ihr brannte eine einzelne Kerze, aber die flackernde gelbe Flamme schien die Dunkelheit hier drinnen eher noch zu vertiefen, als sauge sie das bisschen Licht auf, das es noch gab. Atemzüge waren zu hören und ein fast regelmäßiges helles Ticken, das sie für das Geräusch eines tropfenden Wasserhahns gehalten hätte, hätte es so etwas im Umkreis von ungefähr hunderttausend Lichtjahren gegeben. Dann entstand ein Streifen aus blassgrauem Zwielicht irgendwo in der Dunkelheit, und eine gebückte Gestalt machte einen einzelnen Schritt zu ihr herein und winkte ihr zu. Vielleicht sagte Varga sogar etwas, aber Pia war nicht sicher und es spielte auch keine Rolle. Schweigend folgte sie Vargas einladender Geste und betrat ein winziges und nun tatsächlich fensterloses Zimmer, das von zwei heftig rußenden Kerzen in eindeutig mehr Schatten als Licht getaucht wurde. Der hier anscheinend vorherrschenden spartanischen Einrichtungsphilosophie folgend war es praktisch leer und enthielt nur einen Stuhl, einen Kamin, der nicht so aussah, als hätte jemals ein Feuer darin gebrannt, und ein schmales Bett, auf dem ein sterbender Junge lag.
»Es ist gut, Varga«, sagte Pia. »Bitte lass uns allein.«
Sie konnte hören, wie die Heilerin sich herumdrehte und davonschlurfte. Und sie wartete auch noch ab, bis sie das Geräusch der Haustür hörte, bevor sie aus ihrer selbst auferlegten Starre erwachte und die zwei Schritte zum Bett ging.
Vielleicht waren es die beiden schwersten Schritte ihres Lebens.
Lasar war bewusstlos oder schlief, aber es war kein friedlicher Schlaf. Seine Brust hob und senkte sich in schnellen und unregelmäßigen Stößen, und sein Gesicht glänzte vor Schweiß; kleine ölig glänzende Perlen, die ein verwirrendes Muster auf seiner Haut bildeten und ihren schlechten Geruch dem Atem abschnürenden Gestank hinzufügten, der die Luft hier drinnen in etwas Zähflüssiges zu verwandeln schien, das sich nur noch mit einer bewussten Anstrengung in die Lungen saugen ließ. Der Geruch war so schlimm, dass sich ein leises Gefühl von Übelkeit in Pias Magen zu regen begann; ein Gestank nach Krankheit, Fäulnis und Tod.
Es war nicht Vargas Schuld. Soweit Pia es erkennen konnte, hatte sie den Jungen so gut versorgt und sauber gehalten, wie es nur ging. Es ging eben nicht besonders gut.
Pia schloss die Augen, zählte in Gedanken bis drei und zwang sich dann, den sterbenden Lasar so emotionslos und analytisch wie überhaupt nur möglich anzusehen. Es funktionierte nicht.
Auch ganz sachlich betrachtet bot Lasar einen durch und durch grauenerregenden Anblick. Er war immer schon klein gewesen und so schlank, dass das Wort eigentlich nicht mehr passte. Jetzt schien er … kleiner geworden zu sein und so weit in Richtung Skelett abgemagert, wie es ein Mensch nur konnte, ohne tatsächlich zu sterben.
Pia stand lange Zeit einfach da und sah auf Lasar hinab, und alles, was sie fühlte, waren Leere und ein nagendes Gefühl von Schuld. Niemand hatte diesen Jungen gezwungen, mit einem rostigen Küchenmesser auf einen ausgewachsenen Krieger loszugehen, der doppelt so groß war wie er.
Sie zog sich den Schemel heran, ließ sich darauf nieder und hätte um ein Haar nach seiner Hand gegriffen. Aber sie war nicht mehr da. Wo sie sein sollte, befand sich nur ein klobiger, gelb und braun verkrusteter Verband, den sie nun, wo sie ihn einmal gesehen hatte, auch als Quell des erbärmlichen Gestanks hier drinnen ausmachte. Empörung wollte sich in ihr breitmachen, aber sie sagte sich auch fast sofort, dass Varga für diesen Jungen mit Sicherheit alles getan hatte, was in ihrer Macht stand. Sie konnte eben nicht besonders viel tun. Selbst die talentierteste Kräuterhexe war wohl relativ
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