Elfenblut
versprochen, mich allein zu lassen, Kommandant?«, fragte sie. Aus dem scharfen Ton, den sie hatte anschlagen wollen, wurde nichts. Ihre Stimme versagte ihr zwar nicht vollends den Dienst, ließ aber nicht mehr als ein schwächliches Flüstern zu. Pia war nicht einmal ganz sicher, ob die zweite Person, deren Anwesenheit sie fühlte, überhaupt Istvan war.
Er war es. Seine schmale, aber offensichtlich sehr kräftige Hand legte sich auf Vargas Schulter und schob sie unsanft zur Seite. »Das ist richtig, Erhabene«, sagte er. Sowohl seine Miene als auch seine Stimme hatten eine Menge von ihrer Freundlichkeit eingebüßt. »Aber das war vor mehr als einer Stunde. Fühlt Ihr Euch wieder besser?«
Pia konnte sich nicht wirklich erinnern, sich schlecht gefühlt zu haben … eigentlich konnte sie sich überhaupt nicht erinnern, wie sie sich in der zurückliegenden Stunde (Stunde? Hatte er eine Stunde gesagt?) gefühlt hatte. Sie war sehr schwach. Zwischen ihren Schläfen war ein an und ab schwellendes Summen wie von einem zornigen Bienenschwarm, und wo ihre Erinnerungen sein sollten, war nichts als ein vages Gefühl, etwas Böses und sehr, sehr Gefährliches berührt zu haben. Eine Stunde? Sie war hierhergekommen, um Lasars Sterben zu erleichtern, aber wie es aussah, hatte sie es wohl eher noch einmal hinausgezögert. Wortlos stand sie auf (sie war mit dem Rücken an der Wand neben dem Kamin lehnend zu sich gekommen) und streifte das Bett, auf dem Lasar lag, mit einem kurzen Blick, wobei sie es aber fast angstvoll vermied, in sein Gesicht zu sehen. Ihre Erinnerungen waren immer noch nicht vollständig, aber das, was nach und nach zurückkehrte, verriet ihr mehr, als sie eigentlich wissen wollte. Lasar hatte einen leichten Tod gehabt. Aber wahrscheinlich, versuchte sie sich selbst zu beruhigen, war jeder Tod leicht nach zwei Wochen Höllenqualen.
»Es tut mir leid, wenn ich Eure Zeit über Gebühr in Anspruch genommen habe«, sagte sie kühl. »Er wollte einfach nicht so schnell sterben, wie es vielleicht angemessen gewesen wäre.«
Istvans Miene verdüsterte sich wunschgemäß, auch wenn sie das sichere Gefühl hatte, dass er sich weit mehr über ihren Ton ärgerte als über das, was sie gesagt hatte. »Ich fürchte, wir müssen jetzt wirklich zurück, Erhabene«, sagte er. »Die Zeit war lang genug, um Abschied zu nehmen.« Er wollte sich umwenden, doch Varga ergriff ihn am Arm und zerrte ihn fast schon grob in die entgegengesetzte Richtung. Istvan schüttelte ihre Hand mit einer ärgerlichen Bewegung ab und setzte auch zu einer entsprechenden Bemerkung an, aber dann machte er stattdessen ein überraschtes Gesicht – vielleicht auch ein bisschen erschrocken –, trat an Lasars Sterbebett und schob sie unsanft zur Seite, um sich über den reglosen Jungen zu beugen. Einen Augenblick lang stand er einfach nur in sonderbar verkrampfter Haltung da, dann konnte Pia hören, wie er scharf die Luft zwischen den Zähnen einsog, und begab sich mit klopfendem Herzen an seine Seite. Sie hatte Angst vor dem, was sie wahrscheinlich sehen würde, aber sie sagte sich auch, dass sie Lasar diesen letzten Blick schuldig war. Der Junge hatte sein Leben für sie gegeben, und sie hatte Angst vor einem Blick in sein Gesicht?
Vielleicht zu Recht. Lasar war nicht tot. Er war nicht einmal mehr bewusstlos, und sogar sein Fieber schien nicht mehr ganz so schlimm zu sein wie zuvor. Seine Augen standen offen, und sein Blick war nicht trüb und von Fieber und Schmerz verschleiert, wie sie es erwartete, sondern war klar.
»Aber das ist doch …«, murmelte Pia. Istvan brachte sie mit einer raschen Geste zum Schweigen, winkte mit der anderen Hand die Heilerin heran und starrte sie und den Jungen abwechselnd, aber mit derselben Fassungslosigkeit an. Sie schien fast so groß zu sein wie die, die Pia empfand.
Varga eilte mit trippelnden kleinen Schritten um das Bett herum, beugte sich über Lasar und fuhr einen Moment lang auf dieselbe Art mit den Fingerspitzen über sein Gesicht, wie sie es gerade bei Pia getan hatte. Dann sog auch sie und noch viel schärfer als Istvan gerade die Luft zwischen den Zähnen ein.
»Was … ist mit ihm?«, fragte Pia stockend.
»Diese Frage sollte ich eigentlich an Euch richten«, antwortete Istvan. Seine Stimme klang flach. »Was habt Ihr getan?«
Pia konnte sich nicht erinnern, überhaupt etwas getan zu haben, aber irgendetwas war ganz zweifellos mit Lasar geschehen. Sein Zustand hatte sich sichtbar gebessert. Es
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