Elfenherz
schüttete sich aus vor Lachen.
Dann liefen die Mädchen ein paar Blocks weiter, Val verlor den Überblick. Immer wieder sah sie Sachen, die sie noch nie gesehen hatte: den Glanz auf den Flügeln einer Kakerlake, die über ein Gitter huschte, das Grinsen eines gemeißelten Gesichts über einem Türsturz oder die geknickten Stängel von Blumen vor einer Bar.
»Wir sind da«, sagte Lolli und zeigte auf ein Geschäft, das im Dunkeln lag. Im Schaufenster posierten Schaufensterpuppen in Bleistiftröcken, auf die Szenen aus Comics aufgedruckt waren, oder sie lümmelten sich elegant auf modernen roten Sofas und prosteten mit gepunkteten Martinigläsern. »Da will ich rein.«
Val ging zum Schaufenster und trat die Scheibe ein. Sie zersplitterte, ging aber nicht kaputt. Der Alarm quäkte zweimal und verstummte.
»Versuch’s mal damit«, riet Lolli und hob einen Plastikstrohhalm auf. In ihrer Hand verwandelte er sich in ein schweres, kaltes Brecheisen.
Val lächelte übermütig und schlug mit voller Kraft auf das Fenster ein; darin lagen ihr Hass auf Tom, ihre Mutter und sich selbst, die Wut auf den Troll in seiner Brückenhöhle und ihr Groll auf das gesamte Universum. Sie
schlug auf die Scheibe ein, bis sie sich faltete wie gebogenes Metall.
»Hübsch«, grinste Lolli und stieg durch das Fenster. Kaum war auch Val drinnen, war das Glas wieder da, unversehrt, schöner als je zuvor.
In dem Laden gingen die Lichter an und die übliche Konservenmusik trällerte.
Mit jedem neuen Zauber wuchs Vals Macht, statt dass sie abnahm, wurde sie alberner und wilder. Val wusste nicht einmal mehr genau, wer von ihnen beiden wann was tat.
In der Mitte der Boutique schleuderte Lolli ihre Schuhe von sich und probierte ein Kleid aus grünem Satin an. Val sah, dass sie überall Blasen an ihren nackten Füßen hatte. »Sieht das süß aus?«
»Absolut.« Val suchte sich neue Unterwäsche und eine Jeans aus. Ihre alten Sachen warf sie auf den ausgestreckten Arm einer Schaufensterpuppe. »Guck dir das an, Lolli. So ein Mist kostet hundertachtzig Dollar, und sieht das etwa nach was aus? Nach Jeans eben.«
»Sie kosten nichts«, erwiderte Lolli.
Val fand passende Klamotten, setzte sich auf einen der comicmäßigen Sessel und schaute Lolli beim Anprobieren zu. Als sie mit einem perlenbesetzten Schal um den Kopf umhertanzte, entdeckte Val die Dekoration neben ihrem Sessel.
»Hast du schon mal so was Hässliches gesehen?«, fragte sie und hielt ein avocadogrünes Weinglas hoch. »Wie doof muss man sein, um dafür Geld auszugeben?«
Lolli grinste und nahm sich einen Hut mit pinkfarbenem Federrand. »Die Leute kaufen einfach, was man ihnen vorsetzt. Die merken gar nicht, ob etwas hässlich ist, oder vielleicht doch, aber dann denken sie, irgendwas würde mit ihnen nicht stimmen, wenn sie so was denken.«
»Dann muss man sie vor sich selbst schützen«, schlug Val vor und warf das Weinglas wütend auf den Linoleumboden. Als es zerbrach, flogen die Scherben in alle Richtungen. »Sieht doch jeder, dass so ein Zeug hässlich ist. Hässlich, hässlich, hässlich.«
Lolli fing an zu lachen und lachte so lange, bis Val das letzte Glas zerschmettert hatte.
Als sie zur U-Bahn-Station Worth Street zurückgingen, war Val verwirrt und hatte Probleme, sich zu erinnern, was sie getan hatte. Während die Wirkung des Nimmer langsam nachließ, fühlte sie sich verblasst und ausgelaugt, als hätte das magische Feuer ihr etwas weggefressen.
Sie erinnerte sich an ein Geschäft und daran, dass Menschen ihr aus der Hand gefressen hatten, und ans Laufen, aber sie wusste nicht mehr, woher sie die Sachen hatte, die sie am Leib trug. Ein wirres Durcheinander von Gesichtern, Geschenken, Lächeln trieb in ihrem Gedächtnis, so verschwommen wie die Erinnerung an ein Ungeheuer in einem Turm.
Sie trug Sachen, bei denen sie sich nicht erinnern konnte, sie ausgesucht zu haben: schwere schwarze Stiefel, die viel wärmer waren als ihre Sneakers, ein T-Shirt mit einem Löwenwappen
und eine schwarze Cargohose mit Tausenden von Reißverschlusstaschen. Über dem Ganzen schlabberte ein schwarzer Mantel, der ihr viel zu groß war. Die Vorstellung, dass ihre eigenen Sachen irgendwo liegen geblieben waren, gefiel ihr überhaupt nicht. Die Stiefel drückten, aber sie war froh um den Mantel. Sie hatte das Gefühl, dass sie bis weit nach SoHo gelaufen waren, und ohne die Magie in ihrem Körper war ihr kälter als je zuvor.
Als sie durch den Wartungseingang und über die
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