Elfenherz
Verrücktes zu tun. Obwohl Val Belege für die Existenz von Elfen gesucht hatte, war sie völlig überwältigt von dem tatsächlichen Beweis. Wie viele Elfen
gab es wohl und was gab es dann noch alles? In einer Welt, in der es wirklich Elfen gab, könnten auch Dämonen, Vampire oder Seeungeheuer vorkommen. Wir konnte es sein, dass solche Wesen existierten und diese Nachricht nicht auf allen Titelseiten verkündet wurde?
Val erinnerte sich daran, wie ihr Vater ihr Die drei kleinen Ziegenböcke vorgelesen hatte. Tripp trapp, ging der kleinste Ziegenbock über die Brücke. Dieser Troll sah überhaupt nicht so aus wie die Illustration in dem Buch damals - gab es überhaupt welche, die so aussahen? Wer trippelt über meine Brücke?
»Guck dir meinen Finger an«, sagte Lolli und legte ihn vorsichtig in die Handfläche der anderen Hand. Er war geschwollen und am Gelenk merkwürdig verbogen. »Er hat mir meinen armen Finger gebrochen.«
»Vielleicht ist er nur ausgerenkt. Das ist mir auch schon mal passiert.« Val dachte daran, wie sie auf dem Lacrossefeld auf die Hände gefallen war, wie sie vom Baum gefallen war und zum Arzt gehen musste, wo es nach Jod und Zigarrenrauch gestunken hatte. »Du musst ihn geradebiegen und schienen.«
»Hey«, sagte Lolli. »Ich hab dich nicht gebeten, meinen Ritter in schimmernder Rüstung zu spielen. Ich kann selbst auf mich aufpassen. Du hättest diesem Ungeheuer nichts versprechen müssen. Außerdem hör gefälligst auf, hier den Doc zu spielen.«
»Du hast so was von recht.« Val trat gegen eine zerdrückte Dose und sah zu, wie sie über die Straße hüpfte wie ein
Stein über Wasser. »Du brauchst keine Hilfe und du hast alles im Griff.«
Lolli schaute angestrengt in das Schaufenster eines Elektrogeschäfts, in dessen Fernsehern sich ihre Gesichter spiegelten. »Das hab ich nicht gesagt.«
Val biss sich auf die Lippe und schmeckte die Lösung des Trolls. Sie dachte an seine goldenen Augen und die tiefe, heiße Wut in seiner Stimme. »Es tut mir leid. Ich hätte dir einfach glauben sollen.«
»Oh ja, das wäre besser gewesen«, sagte Lolli, aber sie lächelte.
»Komm, wir suchen uns einen Stock oder etwas anderes, das wir als Schiene benutzen können. Den können wir mit einem Schnürsenkel festbinden.« Val ging in die Hocke und löste die Schnürsenkel an ihrem Sneaker.
»Ich hab eine bessere Idee«, sagte Lolli und ging auf eine Gasse zu. »Wie wäre es, wenn ich den Schmerz einfach vergessen könnte?« Sie lehnte sich an ein schmutziges Mäuerchen und holte aus ihrer Tasche SuppenlöfFel, Nadel, Feuerzeug und ein Tütchen heraus. »Gib mir den Schnürsenkel trotzdem.«
Val dachte an die bewegten Schatten, an den bernsteinfarbenen Sand, und konnte sich nicht vorstellen, wie es weitergehen sollte. »Was ist das?«
»Nimmermehr«, antwortete Lolli. »So nennt Luis es jedenfalls, weil es drei Regeln gibt: Nimmer darf man mehr als einmal täglich oder mehr als zwei Tage hintereinander oder mehr als einen Schluck auf einmal nehmen. Nimmermehr.«
»Und wer hat die Regeln gemacht?«
»Dave und Luis, glaube ich. Nach ihrem Leben auf der Straße arbeitete Luis als Kurier für immer mehr Elfen - offenbar brauchen sie jemanden, der ihnen gewisse Gänge abnimmt - und Dave übernahm die eine oder andere Lieferung. Einmal zapfte er ein wenig Nimmermehr ab, verrührte es mit Wasser, wie sie es tun, und trank es. Es erhöht den natürlichen Schutzschild der Elfen, damit das Eisen sie weniger angreift, aber uns Menschen macht es einfach high. Eine Weile reichte es uns, es zu trinken, aber es kommt echt viel besser, wenn man es spritzt oder raucht wie Dave.« Lolli spuckte in den Löffel und zündete das Feuerzeug. Die Lösung glitzerte, als wäre sie zum Leben erwacht.
»Den Schutzschild?«
»Dadurch können sie sich selbst oder andere anders aussehen lassen. Magie eben.«
»Wie fühlt es sich an?«
»Nimmermehr? Wie wenn das Meer über einem zusammenschlägt und dich mit hinauszieht«, antwortete Lolli. »Nichts berührt dich mehr. Nichts zählt.«
Als Lolli den Stoff auf die Nadel zog, fragte Val sich, ob sie jemals das Gefühl haben würde, dass nichts sie berührte. Es klang nach Vergessen. Es klang nach Frieden.
»Nein«, sagte Val. Lolli hielt inne.
Val lächelte. »Ich zuerst.«
»Echt jetzt?« Lolli grinste. »Du willst auch?«
Val nickte und streckte ihr den Arm entgegen.
Lolli band ihn ab, drückte die Luftblasen aus der Spritze und führte die Nadel so sauber ein,
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