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Elfenherz

Titel: Elfenherz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Holly Black
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einen kaum erkennbaren Löwen.
    »Hallo?«, sagte Vals Mutter leise. »Liebes?«
    Val legte auf. Ihr Handy fing fast sofort wieder an zu klingeln; sie machte es aus.
    »Du wusstest, dass ich das nicht schaffe«, sagte sie anklagend zu Lolli. »Oder?«
    Lolli zuckte mit den Schultern. »Ist doch besser, wenn du es jetzt schon rausfindest. Es ist ein weiter Weg, selbst wenn man einfach nur zurückwill.«
    Val nickte. Sie hatte Angst, ungekannte Angst. Zum ersten Mal dämmerte ihr, dass sie vielleicht nie wieder bereit sein würde, nach Hause zu gehen.

6
    Wirklichkeit ist das,
was nicht weggeht,
wenn man aufgehört hat,
daran zu glauben.
    PHILIP K. DICK

    V al wurde wach, weil eine Bahn kreischend vorbeifuhr. Der Wollmantel klebte trotz der Kälte schweißnass an ihrer klammen Haut. Ihr Kopf pochte vor Schmerz, ihr Mund brannte, und sie hatte einen Bärenhunger, obwohl sie in der vergangenen Nacht so viel gegessen hatte. Zitternd schlang sie die Decke fester um sich und zog die Beine eng an ihren Körper.
    Sie versuchte, sich zurückzuerinnern, an die Zeit vor dem Tischgeschnorre und dem Anruf zu Hause. Ein Ungeheuer fiel ihr ein, ein gläsernes Schwert, dann eine Nadel in ihrem Arm und der Rausch der Macht. Allein bei dem Gedanken entbrannte ihre Sehnsucht danach. Sie setzte sich mühsam auf und musterte die neuen Anziehsachen, die ihr bewiesen, dass ihre Erinnerung nicht nur aus halb vergessenen Traumpartikeln bestand. Daves Arm hatte geblutet, und Fremde hatten getan, was sie ihnen befahl, und
Magie gab es wirklich. Sie langte nach ihrem Rucksack und war erleichtert, dass sie ihn nicht irgendwo hatte liegen lassen, wo auch immer ihre alten Anziehsachen waren.
    Nur Lolli schlief noch, in Fötusstellung eingerollt, mit einem neuen Kleid über einer Jeans. Dave und Luis waren nicht da.
    »Lolli?« Val krabbelte zu ihr rüber und schüttelte Lollis Schulter.
    Lolli drehte sich um, schob sich die blauen Haare aus dem Gesicht und machte ein leises, wütendes Geräusch. Mit saurem Atem lallte sie: »Geh weg.« Dann zog sie die fleckige Decke wieder über den Kopf.
    Val stand schwankend auf. Sie sah alles nur verschwommen. Sie nahm ihren Rucksack und zwang sich, durch die Dunkelheit hochzuklettern auf die Straßen von Manhattan. Helle Wolken standen am Abendhimmel, und das Ozon lag schwer in der Luft, als wäre ein böser Sturm im Anmarsch.
    Val fühlte sich ausgetrocknet und rissig, zerbrechlich wie die wenigen verbliebenen Blätter, die vom Park hergeweht wurden. Wenn man ihr Sport, Schule und das restliche normale Leben wegnahm, schien nicht viel übrig zu bleiben. Ihr Körper fühlte sich zerschlagen an, als wäre in der Nacht noch etwas anderes durch ihre Adern geschossen, etwas so Scheußliches und Gewaltiges, dass es ihre Eingeweide verschmort hatte. Dennoch empfand sie auch Befriedigung, der Angst zum Trotz. Das habe ich gemacht, dachte sie, das habe ich mit mir gemacht.

    Als sie die kalte Luft tief einatmete, beruhigte sich ihr Magen, aber ihr Mund fing an zu brennen.
    Ungebeten hallten die Worte des Wesens in ihren Gedanken wider: »Diene mir einen Monat lang. Jeden Abend in der Dämmerung gehst du in den Seward Park. Dort wirst du unter der Wolfspfote einen Zettel finden. Tust du nicht, was dir darin befohlen wird, nimmst du ein böses Ende.« Sie war schon spät dran.
    Val dachte an die schleimige Lösung, die der Troll auf ihrer Haut verschmiert hatte, und plötzlich erbebte ihr Körper vom Scheitel bis zur Sohle, wie vom Schlag getroffen. Ihre Hand schoss zu ihrem Mund. Ihre Lippen waren trocken und geschwollen, aber sie fand keinen Riss, keine Wunde, nichts, was den stechenden Schmerz erklären konnte.
    Sie ging rasch in ein Deli und kaufte mit dem Kleingeld, das unten in ihrem Rucksack lose herumlag, einen Becher Eiswasser, um ihren Mund zu kühlen. Vor dem Laden setzte sie sich auf den Beton und saugte an einem Eiswürfel. Ihre Hand zitterte dermaßen, dass sie es nicht wagte, aus dem Becher zu trinken.
    Eine Frau, die aus dem Spirituosengeschäft daneben kam, warf Val einen Blick zu und schnippte Kleingeld in ihren Wasserbecher. Val blickte erschrocken auf und wollte schon protestieren, aber die Frau war bereits weitergegangen.

    Als Val den gefalteten Zettel unter der Wolfspfote hervorholte, war ihr ganzer Mund wund. Sie hockte sich neben
den ausgetrockneten Brunnen, lehnte den Kopf an eine abgeblätterte Gitterstange der Umzäunung und faltete mit tauben Fingern den Zettel auseinander.
    Sie hatte

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