Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Elfenkind

Elfenkind

Titel: Elfenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
Vom Netzwerk:
«Zuerst wollte Geoffrey das nicht. Er meinte, du müsstest das nicht wissen, es würde dich nur verwirren. Und dann … Ach, ich weiß auch nicht. Du warst das Mädchen, das ich mir immer gewünscht habe. Es spielte keine Rolle, woher du kamst oder wer deine Eltern waren. Du warst so klein und hilfsbedürftig.» Sie stand auf, öffnete die Türen des Schrankes und schob die Bügel hin und her. «Es war, als hätte ich dich selbst geboren. Es spielte für mich nie eine Rolle, dass du vielleicht ein bisschen anders warst, als andere in deinem Alter.» Ihr Blick war voller Liebe. «Oh Aliénor. Du wirst immer meine Tochter sein! Mir war das nie wichtig, dass du ein Adoptivkind bist. Und daran wird sich auch nichts ändern, egal was geschieht.»
    Aliénor fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen. Energisch schluckte sie sie herunter. Das fehlte gerade noch. Wenn sie jetzt anfangen würde zu weinen, war sie sich nicht sicher, wann sie wieder aufhören würde. Außerdem war sie sich ziemlich sicher, dass ihre Mutter direkt mitweinen würde. Und zwei hilflos heulende Frauen war das Letzte, was sie jetzt brauchte.
    Sie wandte sich entschlossen der Bananenmilch zu. Doch die bereitete ihr heute ungewohnte Probleme. Erst dachte sie, es käme, weil ihre Kehle von den ungeweinten Tränen eng war, aber nach wenigen Schlucken hatte sie deutlich das Gefühl, die Milch wollte ihr die Speiseröhre wieder nach oben steigen. Dabei war Milch das einzige tierische Erzeugnis, das sie bisher immer zu sich genommen hatte. Sie schluckte und schluckte, ehe sie sich ganz sicher war, dass die Milch tatsächlich unten bleiben würde.
    «Ich … ich kann das nicht trinken», bekam sie schließlich heraus. «Ich hab das Gefühl, ich müsste gleich … Maman , ich habe einen rasenden Appetit auf Honig. Haben wir noch welchen?»
    Chantal sah sie überrascht an. «Ich weiß nicht. Ich werde nachsehen.» Sie eilte aus dem Himmer und kehrte Minuten später mit einem Glas Honig und einem Löffel zurück.
    Nachdem Aliénor fünf Löffel Honig in die Bananenmilch gerührt hatte, trank sie alles aus, in bedächtigen Schlucken, aber ohne Probleme. Es war ihr, als wäre Honig, den sie als kleines Kind gehasst hatte, jetzt das Köstlichste auf der Welt.
    «Möchtest du noch irgendetwas?»
    Aliénor schüttelte den Kopf. «Nein. Maman , wir müssen darüber sprechen, wie es weitergehen soll.»
    «Weitergehen?» Offensichtlich hatte Chantal sich darüber noch gar keine Gedanken machen. Wie Aliénor ihre Mutter kannte, hatte sie den Gedanken im Gegenteil so weit wie möglich von sich weg geschoben. Sie seufzte innerlich. So sehr sie ihre Mutter auch liebte – denn gefühlsmäßig würde Chantal immer ihre Mutter bleiben –, manchmal fand sie die Art, wie sie vor allen Problemen und Unannehmlichkeiten die Augen verschloss, sehr anstrengend.
    «Nun, es ist klar, dass ich nicht hier bleiben kann. »
    Ihre Mutter starrte sie mit großen Augen an. Aber sie konnte doch kaum wirklich geglaubt haben, dass alles so wie vorher weitergehen würde. Oder doch? Sie würde es also ganz deutlich aussprechen müssen.
    «Ich kann nicht hier bleiben, maman . Nicht nach dem, was passiert ist. Das musst du doch verstehen. »
    «Aber wo willst du hingehen? »
    Das war eine gute Frage. Eine, auf die Aliénor selbst noch keine Antwort hatte. Ob Frédéric vielleicht …
    Aber bevor sie den Gedanken zu Ende denken konnte, polterten schwere Schritte die Treppe hinauf. Offensichtlich war ihr Vater wieder nach Hause gekommen.
    Die beiden Frauen blickten sich erschrocken an.
    «Mach dir keine Sorgen», sagte Aliénor. Sie konnte allerdings nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht schwankte.
    Die Türe wurde vehement aufgerissen.
    «Chantal, raus!» Der Blick ihres Vaters war so finster, dass sie befürchten mussten, dass er ihre Mutter auch mit Gewalt aus dem Zimmer schaffen würde.
    «Ich bleibe hier», verkündete Chantal, zwar mit zitternder Stimme, aber entschlossen. Es überraschte Aliénor, dass ihre Mutter diesen Mut aufbrachte.
    Doch Geoffrey beachtete sie schon gar nicht mehr. Er hatte diesmal nicht Ryad dabei, sondern einen gepflegten Mann in einem anthrazitgrauen Anzug aus gutem Stoff. Die langen Haare des Mannes waren sorgfältig zurückgekämmt und wurden von einem Zopfband gehalten.
    Der Mann im Anzug deutete eine Verbeugung an. «Bonsoir, Mesdames.» Er sah Aliénor an. «Ich muss das Fräulein bitten, sich auszuziehen und auf den Bauch zu legen, damit ich ihren

Weitere Kostenlose Bücher