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Elfenkind

Elfenkind

Titel: Elfenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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den Fingern über Aliénors Schulterblätter. «Es sieht weniger schlimm aus, als ich befürchtet habe. Ein paar Blutkrusten.» Sie beugte sich tiefer über Aliénor und runzelte die Stirn. «Merkwürdig … Sag mal, kann es sein, dass die Flügel nachwachsen?»
    Aliénor rappelte sich hoch und versuchte, sich selbst über die Schulter zu sehen. «Warum? Was siehst du?»
    «Na ja, ich weiß nicht, aber es sieht fast so aus, als ob da wieder so zarte Spitzen herauswachsen.»
    Aliénor sprang auf und rannte vor den Spiegel. Sie hatte die Schmerzen in ihrem Rücken als Folge von Geoffreys Angriff abgetan. Aber vielleicht waren es tatsächlich neue Wachstumsschmerzen. Erstaunlicherweise hatte diese Vorstellung etwas sehr Beruhigendes. Sie wandte sich hin und her, um ihren eigenen Rücken sehen zu können. Und tatsächlich – auch wenn sie es nur aus dem Augenwinkel erspähen konnte, hatte sie doch das Gefühl, dass ihre Mutter recht hatte. Unwillkürlich verzogen sich ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln.
    «Hast du Hunger? Du hast immerhin den ganzen Tag verschlafen », fragte Chantal. «Ich habe dir was zu essen gemacht.» Sie gestikulierte zu einem Tablett, dass sie auf Aliénors Schreibtisch abgestellt hatte.
    Aliénor warf einen kurzen Blick in den Kleiderschrank, fand aber nichts, was nicht in irgendeiner Weise die Entwicklung ihrer neuen Flügel gestört hätte. Schließlich schlang sie sich einfach einen farbenfrohen Pareo um den Körper, kreuzte die oberen Ecken vor der Brust und verknotete sie im Nacken.
    Sie trat zum Schreibtisch hinüber und betrachtete die Leckereien, die ihre Mutter mitgebracht hatte. Pfannkuchen mit Apfelmus, eine ihrer Lieblingsspeisen, frische Bananenmilch, Kekse, einen Apfel. Sie hatte tatsächlich Hunger. Sie probierte ein wenig vom Pfannkuchen und stellte fest, dass es ihr schmeckte.
    «Sag mal», fragte sie ihre Mutter, während sie nach dem Apfelmus griff, «wie war das denn nun damals, als ich zu euch gekommen bin?»
    Chantal überlegte kurz. «Maurice war etwa zwei Jahre alt, da brachte dein Vater dich eines Abends mit. Er erklärte mir, seine Schwester wäre bei einem Autounfall ums Leben gekommen und auch schon beerdigt. Nun wären wir deine Eltern und die Adoption nur eine Formalität, die er als nächster Angehöriger schon erledigt hätte.»
    Aliénor runzelte die Stirn. «Kam dir das nicht eigenartig vor, dass alles so schnell ging und ihr nicht gemeinsam zur Beerdigung gefahren seid? Dass er mich einfach so mitgebracht hat?»
    «Ich weiß nicht. Ich habe dich angeschaut und dich sofort geliebt. Du warst so klein und hungrig.» Sie lächelte. «Und ich habe mich so gefreut, ein Mädchen zu haben. Bei Maurice’ Geburt gab es Probleme und die Ärzte sagten, ich würde kein zweites Kind bekommen. Dabei wollte ich doch so gerne noch ein Mädchen.»
    Aliénor verzog bei der Erwähnung ihres Bruders den Mund. Maurice. Zwar hatte sie nie das Gefühl gehabt, maman würde ihn ihr vorziehen, aber Papa hatte sie immer spüren lassen, dass Maurice sein Liebling war. Jetzt war ihr klar, warum. Dabei hatte sie die ganze Zeit über geglaubt, der Grund wäre, weil er ein Junge war.
    «Bist du eifersüchtig auf Maurice?», fragte ihre Mutter vorsichtig. «Weil er dein richtiges Kind ist?» Aliénor schüttelte den Kopf. «Nein. Das hast du mich nie spüren lassen. Ich hatte immer das Gefühl, er wäre ganz normal mein Bruder. Wenn ich eifersüchtig war, dann nur, weil Papa ihn bevorzugte, in dieser dummen altmodischen Weise, als Stammhalter.» Sie schüttelte über sich selbst den Kopf. Wie hatte sie als kleines Mädchen um Geoffreys Liebe gekämpft. Nun verstand sie, dass es von Anfang an ein verlorener Kampf gewesen war. Er hatte immer gewusst, dass er nicht ihr richtiger Vater war und hatte es vermutlich auch nie sein wollen.
    Da kam ihr ein neuer Gedanke. «Und mein richtiger Vater? Wer ist er? Warum bin ich nicht bei ihm aufgewachsen?»
    «Geoffrey sagte, der hätte sich auf und davon gemacht, noch bevor du geboren wurdest. Natürlich hatte er mir nicht erzählt, dass dein Vater ein Elf war. Ich kann das alles auch jetzt kaum glauben.» Sie schaute Aliénor mit einem Ausdruck verwirrter Verwunderung an.
    Die nächste Frage fiel Aliénor schwer, aber sie wusste, dass sie sie stellen musste. «Warum habt ihr mir nie gesagt, dass ich nicht eure Tochter bin?»
    Chantal wich ihrem Blick aus und fast glaubte Aliénor schon, dass sie ihr nicht antworten würde. Aber dann sprach sie doch.

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