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Elfenkind

Elfenkind

Titel: Elfenkind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka-Gabriela Schmidt
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ein Mensch?
    Obwohl sie gerade erst ihr Elfenselbst gefunden hatte, war ihr der Gedanke fast unerträglich. Auch wenn ihr Körper ihr noch fremd gewesen war, hatte sie doch gespürt, dass endlich alles Sinn gemacht hatte.
    Mit oder ohne Flügel, sie war eine Elfe, das wusste sie. Und niemand – ganz bestimmt nicht Geoffrey – würde ihr das wieder wegnehmen.
    Wie lange Aliénor so eingerollt dagelegen hatte, wusste sie nicht. Irgendwann kam sie wieder zu sich und versuchte, nachzudenken. Alles war so entsetzlich. Und auch so entsetzlich verwirrend.
    In einem Punkt hatte Frédéric allerdings Recht behalten. Ihr Vater hatte nicht akzeptiert, dass sie eine Elfe war, und die nächsten Stunden waren schwer für sie geworden. Sie lachte freudlos auf. Das war allerdings leicht untertrieben. Was heute geschehen war, war das Schlimmste, was ihr bisher passiert war. Dabei hatte sie geglaubt, nach Laras Verlust könne es nichts Schlimmeres geben.
    Irgendwann schlief sie erschöpft ein. Ein Geräusch weckte sie wieder auf. Sie blinzelte und sah Geoffrey ins Zimmer treten. Erschrocken fuhr sie hoch, bereit, sich sofort wieder zu verteidigen. Doch er beachtete sie gar nicht, sammelte nur die Reste ihrer Flügel vom Boden und verließ ihr Zimmer wieder. Es kümmerte ihn offensichtlich nicht einmal, wie es ihr jetzt ging oder ob sie Hilfe brauchte.
    Immerhin hatte er nicht wieder Hand an sie gelegt. Dafür war sie dankbar, denn es war ihr schmerzlich bewusst geworden, dass sie ihm in der Tat nichts entgegenzusetzen hatte, wenn er sie körperlich angriff. Also musste sie dafür sorgen, dass er keine Gelegenheit mehr dazu hatte. Es war klar, dass sie nach den Ereignissen heute nicht mehr hier blieben konnte.
    Sie würde gehen. Sie war nur so schrecklich müde. Sie würde noch einen Augenblick ausruhen …
    Ohne es zu merken, glitt sie wieder in den Schlaf.
    Sie stürzte von einem Turm herab und vergaß ihre Flügel zu öffnen, schwebte über graue gesichtslose Gestalten hinweg, die ihre Hände nach ihr ausstreckten, sie an den Füßen zu sich herabzogen und ihr dann, von allen Seiten zerrend, die Flügel ausrissen. Dann blieb sie liegen, schwer verletzt, blutend, geschwächt.
    Im selben Augenblick erschien Laras Gesicht über ihr, mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen streichelte sie ihr über die Haare und sagte: «Komm, Aliénor. Komm mit mir.»
    Die Versuchung war groß. Nicht mehr kämpfen, einfach aufgeben und sich treiben lassen in die Ewigkeit.
    Doch noch war sie nicht bereit dazu. Es war zu früh. Sie hatte noch so viel vor. Etwas Neues lag vor ihr, aufregend und verlockend. Und da war noch jemand, jemand, der sie stützte, der ihr Kraft gab.
    Sie sah ihn, groß, stark, strahlend schön und verführerisch, und flüsterte seinen Namen: «Frédéric …»
    Sie schlug die Augen auf.

15
    Aliénor war selbst überrascht, wie enttäuscht sie war, als sie nicht wie erwartet Frédéric, sondern ihre Mutter vor sich sah, als sie die Augen aufschlug.
    «Ça va, ma chérie?», fragte Chantal und strich ihr vorsichtig über das Haar. Es war nicht zu übersehen, dass ihr die Situation zu schaffen machte. Sie wirkte über Nacht um zehn Jahre gealtert.
    Aliénors Antwort kam automatisch. «T’inquiète pas, maman. Ça va.» Mach dir keine Sorgen, es geht mir gut. Sie wünschte, es wäre wahr.
    Chantal seufzte tief. «Oh, Aliénor, was geht hier eigentlich vor? Geoffrey ist zur Arbeit gefahren, aber vorher hat er mir noch einen Haufen wirres Zeug erzählt. Dass dein wahrer Vater ein Elf gewesen wäre und Marie mit seinen magischen Tricks verführt hätte. Es kommt mir vor, als müsse jede Sekunde jemand hereinstürmen und mich aufklären, dass ich der versteckten Kamera auf den Leim gegangen bin. Oder dass ich das alles nur fantasiere und demnächst von den Männern in den weißen Kitteln abgeholt werde.» Sie sah fast so aus, als würde sie die Vorstellung, wahnsinnig zu werden, angenehmer finden, als sich der Wahrheit stellen zu müssen.
    «Ich weiß, es ist schwer zu glauben, maman .» Aliénor wusste, sie sollte ihrer Mutter gut zureden. Aber anders als sonst fiel es ihr schwer, beruhigende Worte für sie zu finden. Sie war selbst noch viel zu verwirrt und geschockt von dem, was geschehen war.
    Als spürte sie, dass ihre Tochter ihr diesmal nicht die erhoffte Bestätigung geben konnte, strafften sich Chantals Schultern. «Zeig mir mal deinen Rücken.»
    Aliénor drehte sich ein wenig zur Seite.
    Vorsichtig strich Chantal mit

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