Elfenkind
entsprach dieser ihrem Bild hundertprozentig. Er war groß, hoch, die Wände in kühlem Dunkelblau gehalten, darauf ein kleinteiliges goldenes Muster, das sich auch über die Decke erstreckte und diese in einen Sternenhimmel verwandelte. Dieser Prunk, der sich in goldenen mannshohen Kerzen und funkelnden Kronleuchtern fortsetzte, war beinahe unerträglich. Auf dem Marmorboden in schwarzweißem Schachbrettmuster führte ein dickfloriger blauer Teppich mit Goldrand direkt auf den Thron zu.
In Sekunden hatte Aliénor dies alles wie ein Schwamm aufgesogen und ebenso schnell stellte sie für sich fest, dass ihr die reduzierte Pracht in Frédérics Schloss besser gefallen hatte.
Tyrin deutete Richtung Thron. Aliénor verstand, den Rest des Weges, durch ein Spalier neugierig schauender Elfen, sollte sie alleine gehen. Erhobenen Kopfes schritt sie vorwärts. Ihr Herz klopfte bis zum Hals und sie hoffte inständig, dass niemand merkte, wie nervös sie war.
Der Thron selbst war unter einem imposanten Überwurf aus Hermelinfell verborgen. Nur eine goldene Armlehne schaute noch darunter hervor. Der Elfenkönig und seine Gemahlin, deren Schwingen ebenfalls sehr schön waren, saßen aufrecht, mit undurchdringlicher Miene. Während die weißblonden Haare des Königs weit über seine Schultern herabhingen, geschmückt von einem schmalen goldenen Stirnreif, waren die Haare der Königin unter einem weißen Tuch mit goldener Stickerei verborgen.
Aliénor überlegte, wie sie weiter vorgehen sollte. Auf jeden Fall würde es nicht schaden, sich höflich zu zeigen. Doch der König schaute sie nur ungerührt an und forderte sie nicht auf zu sprechen. Er redete mit einem Mann, der seitlich hinter dem Thron stand und sich zum König hinunterbeugte.
Aliénor hatte sich in letzter Zeit immer wieder Worte überlegt, mit denen sie ihre Lage erklären wollte. Roxanne hatte ihr ein paar Tipps zu höflicher Anrede und angemessenem Verhalten gegeben, an die sich Aliénor nun wieder erinnerte. Ihr war das viel zu gestelzt vorgekommen, aber jetzt, da sie diesen steifen und unnahbaren Herrschern gegenüber stand, erschien es ihr passend. Allerdings hatte sie keinesfalls die Absicht abzuwarten, wann der König das Wort an sie richten würde, auch wenn sich das wohl so gehörte.
«Majestät, vielen Dank, dass Sie mich empfangen. Mein Name ist Aliénor Boux und ich bin auf der Suche nach meiner Herkunft.»
Für den Bruchteil eines Augenblicks zeigte sich eine Regung auf dem Gesicht des Königs, ein Zucken, ein kurzes Aufreißen der Augen, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle.
«Aliénor Boux?», wiederholte er gedehnt.
Der nasale Klang seiner Stimme ließ die Buchstaben zu einem fast unverständlichen Brei verschwimmen, dennoch nickte Aliénor.
«Ja.»
«Wie kommst du darauf, mein Kind, ausgerechnet bei uns nach deinen Ahnen zu suchen? Aus welchem Elfenland stammst du denn? Es geziemt sich nicht, für eine junge Dame ohne Begleitung alleine zu reisen! Und überhaupt – hast du kein Empfehlungsschreiben dabei?»
Seine herablassende Art war kränkend. Aliénor hatte einen freudigeren oder zumindest gastfreundlichen Empfang erwartet. Sie unterdrückte ihre Enttäuschung und bemühte sich, höflich zu antworten und so weit wie möglich bei der Wahrheit zu bleiben.
«Nein, kein Empfehlungsschreiben, und ich komme auch aus keinem anderen Elfenland, Hoheit. Ich bin bei den Menschen aufgewachsen, bei Pflegeeltern. Ich wusste bis vor kurzem nicht, dass ich eine Elfe bin – bis mir meine Flügel gewachsen sind.»
Ein Raunen ging durch die bis dahin stille Elfenschar und dann rief irgendjemand mit einer hässlich quiekenden Stimme in den Raum und brachte das ungläubige Staunen aller Anwesenden auf den Punkt: «Sie ist ja nur ein gewöhnlicher Bastard!»
Aliénor fühlte, wie ihr die Schamesröte ins Gesicht stieg. Zugleich entbrannte ein unbändiger Zorn über diese Beleidigung in ihr und sie biss die Zähne aufeinander, um das, was sie auf diese Unverschämtheit am liebsten erwidert hätte, für sich zu behalten. Vor dem König machte es sich wohl kaum gut zu streiten.
Einige Elfen kicherten, andere stimmten brummend ein und wiederholten die Worte, bis der König gebieterisch seine Hand erhob.
«Still! Wer sind deine wahren Eltern? Und wie kommst du darauf, sie hier bei uns zu vermuten?»
Aliénor zögerte. Es war wohl wenig ratsam, einen Vampir ins Spiel zu bringen, auch wenn Frédéric Duc de Bonville nicht irgendjemand war. Besser, die
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