Elfenkind
kahl und kühl. Wände und Boden waren aus glattem weißem Marmor. Die einzige Zierde war ein Altar in Pentagrammform, dezentriert nahe der Tür zu den dahinterliegenden Privatgemächern des Hüters platziert.
Durch die geschlossenen Lider bemerkte er kurz darauf das gleißende Licht, das den Hüter umgab, näherkommen. Er senkte den Kopf tiefer, um seine Augen zu schonen.
Es war ein Mysterium, wie und warum der Heilige von diesem Licht umhüllt war, und wie er Einfluss auf den Grad der Helligkeit nahm. Auf jeden Fall war es ratsam, die Augen erst zu öffnen, wenn es erlosch. Denn das Licht war so hell, dass es schmerzte, wenn man hineinsah.
Es gab sogar das Gerücht, der Hüter könne damit willentlich eine Erblindung seines Gegenübers hervorrufen, wenn er wolle. Allerdings kannte Frédéric persönlich niemanden, dem dies geschehen war. Er wusste nur, dass das Schwert, das der Hüter an seiner Seite trug, schon zur Bestrafung von Verrätern an der Gemeinschaft gedient hatte, und er wünschte sich, der Hüter hätte damit auch gleich allen Unreinen, die er aus der Gemeinschaft der Vampire ausgeschlossen und in die Verbannung geschickt hatte, den Kopf abgetrennt.
«Ich grüße Euch, Euer Gnaden», entbot er höflich seinen Gruß.
«Seid gegrüßt, Bonville», erwiderte der Hüter emotionslos.
Der Lichtschein flaute schnell auf ein erträgliches Maß ab, ein Zeichen, dass er die Augen öffnen und sich erheben durfte. Sein Blick fiel auf die Hose und die Tunika aus weißem fließendem Stoff, die in ihrer Schlichtheit einem Mönchsgewand ähnelten, würden sie nicht von einer goldenen Schärpe gehalten, die mit mystischen schwarzen Symbolen bestickt war.
Der Hüter stand direkt vor ihm und musterte ihn eindringlich. Frédéric fühlte die geistige Kraft, die von ihm ausging. Es lohnte nicht den Versuch, irgendetwas vor dem heiligen Oberhaupt ihrer Gemeinschaft zu verbergen. Er würde es sofort bemerken.
Der Hüter trat an den Altar heran, verteilte ein Öl in der umlaufenden Rinne und entzündete es Kraft seiner Gedanken. Im Nu stand ein gleißender Flammenring auf dem Altar.
«Nun», fragte er ruhig, «was habt Ihr mir heute Neues zu berichten, Bonville?»
Frédéric informierte ihn darüber, welche Unterlagen sie gerade bearbeiteten und womit jeder einzelne beauftragt war. Der Hüter hörte ihm zu, ohne eine Miene zu verziehen und ohne den Blick von den Flammen zu wenden.
«Ich brauche Euch nicht zu sagen, dass ich nicht zufrieden bin.»
Frédéric zog es vor, darauf nichts zu erwidern. Der Hüter wusste, dass sie Ergebnisse nicht herbeizaubern konnten, alle aber fleißig und ausdauernd forschten – wenn man mal von Emanuele absah. Dennoch war es nicht nötig, sich zu verteidigen. Oder meinte er etwas völlig anderes?
«Erzählt mir von dem Überfall.»
Was genau wollte er denn hören? Frédéric räusperte sich. «So wie es aussieht, hat eine Gruppe Unreiner ein paar junge Menschen überfallen, die zusammen gefeiert haben, sie ausgesaugt und ihre Leichen verstümmelt. Die Vampirjäger kamen zu spät und haben sich viel Mühe gegeben, die wahren Hintergründe zu vertuschen.»
Der Hüter nickte stumm. Sein Blick war weiterhin in die Flammen versenkt. Frédéric hatte ihn oft genug getroffen, um geduldig abzuwarten, bis er wieder das Wort an ihn richtete. Er betrachtete das edle Profil des Hüters, das von feinen Falten durchzogen war. Niemand wusste, wie alt er war, aber da es außer ihm niemanden unter den Vampiren gab, der so schneeweiße Haare hatte, lag der Schluss nahe, das er unermesslich alt sein musste.
«Ihr denkt, ich habe einen Fehler gemacht, indem ich die Unreinen nur verbannte.»
Frédéric erstarrte. Die Entscheidungen des Hüters waren erhaben über jegliche Kritik. Man stellte sie nicht in Frage, nicht einmal in Gedanken. Es war ein Sakrileg.
Er machte eine abwehrende Handbewegung. «Es steht mir nicht zu, Euer Gnaden zu kritisieren.»
Auf einmal drehte sich der Hüter zu ihm, sah ihn an und lächelte. «Die Gedanken sind frei, Bonville, auch die Euren. Aber Ihr habt mir nicht alles erzählt.»
Frédéric zuckte zusammen. Wie hatte er glauben können, der Hüter wäre nicht schon längst über Aliénor informiert? Andererseits, wenn dies so war, warum sollte er dann überhaupt Bericht erstatten?
«Erzählt mir von ihr .»
Alles? Bemüht seine Emotionen in den Hintergrund zu drängen, fasste Frédéric die restlichen Ereignisse möglichst knapp zusammen. Wie er Aliénor gefunden
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