Elfenkind
sie, dass es regnen würde, wenn man das Wasser aus der Quelle von Barenton auf einen Stein goss und dass die Gemeinde Tréhorenteuc stolz darauf war, die Kirche des Grals ihr eigen zu nennen. Nelrin erzählte ihr auch, dass das Haus der Viviane , bei dem sie Tyrin begegnet war, eine von mehreren Megalithanlagen war, die als Häuser der legendären Fee Viviane aus der Artussage galten. Nelrin erschien ihr wie ein klingendes Buch voller spannender Geschichten aus einer Welt, die ihr bis dahin verborgen gewesen war.
Solange der König sich keine Zeit für sie nahm und sie nichts über ihren Vater erfuhr, kam ihr Nelrin als Unterhalter gerade recht. Schließlich hatte sich noch niemand freiwillig zu ihrer Vaterschaft bekannt und sie hoffte, der König hatte Nachforschungen in Auftrag gegeben, falls er selbst nichts wusste. Ein bis zweimal am Tag bat sie um eine Audienz. Doch ohne Erfolg. Die Wachen wimmelten sie barsch mit dem Hinweis ab, der König werde sie rufen lassen.
30
Dann endlich gewährte König Obodir ihr eine Audienz in seinem Arbeitszimmer. Obwohl Aliénor das Ziel, ihren leiblichen Vater zu finden, nie aus den Augen verloren hatte, hatte sie die Hoffnung auf Antwort fast schon aufgegeben, denn jeder, den sie darauf ansprach, verwies sie ablehnend an den König. Auch die beiden Berater des Königs, Geodin und Aldin, sagten ihr nichts anderes, als dass sie Geduld haben müsse.
Sie waren alleine. Nur Aliénor und der König, der hinter einem riesigen weißen Schreibtisch saß. Abgesehen von einer goldenen Glocke, einem weinroten Glaspokal, einigen Pergamentrollen, einer altmodischen Schreibfeder und einem Tintenfäßchen war der Schreibtisch völlig leer. Alles wirkte wie Requisiten in einem Märchenfilm. Es fehlte nur noch eine böse Hexe, die Intrigen gegen sie spann.
«Du bist hartnäckig, junge Dame. Ich hoffe, du hast dich inzwischen gut bei uns eingelebt.»
Aliénor entschied sich, höflich zu bejahen, um den König günstig für sich zu stimmen. «Danke, Hoheit.»
«Kümmert Nelrin sich gut um dich?»
«Oh, doch, vielen Dank. Er ist sehr freundlich. Aber deswegen bin ich nicht hier, wie Ihr wisst, Euer Hoheit», fuhr Aliénor fort. «Ich habe nach wie vor nicht erfahren, wer mein Vater ist. Ich bin mir aber sicher, dass er Eurem Volk angehört.»
Obodirs Miene war undurchdringlich. «Das ist doch gar nicht wichtig. Ich finde, du bist erwachsen und solltest nicht zurückblicken, sondern in die Zukunft schauen. »
Aliénor fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. «Aber ich habe ein Anrecht zu erfahren …»
Die Erwiderung des Königs fiel sehr schroff aus. «Still! Kein Aber. Wir müssen das zuerst noch recherchieren. Du erfährst noch, ob dein Vater ein Mitglied unseres Volkes war. Viel wichtiger ist: Möchtest du hier bleiben?»
Sie zögerte. Aber zu verneinen, würde sie nun wahrlich nicht weiterbringen. Also erwiderte sie langsam: «Ja, schon …»
Der König nickte befriedigt. «Dann machen wir das amtlich.»
Obodir läutete mit seiner goldenen Tischglocke und Aldin trat ein, mit einem Dokument in der Hand. Er legte es vor Aliénor auf den Sekretär. Es war eine Art Einbürgerungsurkunde, mit schwarzer Tinte in schwungvollen Buchstaben auf ein Stück altes Pergament geschrieben.
Was sollte das denn? Aliénor runzelte die Stirn. In der Urkunde stand, sie verpflichte sich die Gesetze des Château des Fleurs und des Elfenvolkes vom Wald in Brocéliande zu respektieren und nach diesen zu leben. Gesetze, die sie nicht einmal kannte, die nicht beigefügt waren. Hatte sie eine Wahl? Sowieso würde sie nichts, weder diese Formalität noch irgendwelche Gesetze davon abhalten, ihren eigenen Weg zu gehen. Wenn eine Unterschrift unter dieses Dokument ihr half, ihren Vater zu finden, weil sie damit das Vertrauen des Königs gewann, dann sollte sie es tun.
Sie nahm aus Aldins Hand die Feder entgegen, die er bereits in Tinte eingetaucht hatte, und kritzelte ungeschickt ihren Namen darunter. Es war unvorstellbar, dass die Menschen in früheren Jahrhunderten mit diesen störrischen Federkielen ganze Bücher verfasst hatten.
Aldin legte die Urkunde vor dem König auf dem Tisch ab und dieser setzte mit einem schweren Siegel auf rotem Wachs seine königliche Bestätigung darunter.
Aliénor fand es nun an der Zeit, dass der König auf ihre Fragen einging. Aber erneut fegte er mit einer ungeduldigen Handbewegung ihre Worte fort, kaum dass sie diese ausgesprochen hatte und zog verärgert die
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