Elfenkind
unwürdig, für einen Bastard. Das lasst ihr mich spüren, seit ich angekommen bin. Ein ungebetener Gast. Am liebsten wäre euch, wenn ich wieder abreisen würde.»
Nelrin setzte das Glas, aus dem er gerade trinken wollte, erstaunt ab. Mit dieser Direktheit hatte er wohl nicht gerechnet.
« Es tut mir leid, wenn es sich für dich so anfühlt. Wir erhalten kaum Besuche von anderen Elfen. Das ist für uns eine neue Situation. Die meisten von uns haben noch nie Fremde gesehen.»
Aliénor zog die Augenbrauen hoch. «Wäre man dann nicht erst recht gastfreundlich und neugierig?»
«Wir sind nicht sehr … flexibel, was das betrifft. Unser Leben ist durch strenge Etikette geregelt.»
Aliénor schnaubte. «Und wieso sprichst du dann mit mir? Hat dich jemand dazu abkommandiert? Vielleicht der König?»
Es gelang ihm nicht, seine Überraschung zu verbergen. Aliénor sah, wie er unter ihren Worten zusammenzuckte, sich allerdings schnell wieder fing.
«Nein, nein, so ist das nicht. Ich … mir ist auch aufgefallen, dass du sehr isoliert bist und ich wollte das ändern.» Er senkte kurz den Blick und als er sie wieder anschaute, lächelte er. «Ich dachte, ich könnte dich herumführen, dir alles zeigen und wir würden uns unterhalten. Du hast bestimmt vieles von der Welt draußen zu erzählen, was ich nicht weiß, und ich sage dir alles, was es über unsere Elfenwelt zu wissen gibt.»
Sein sanfter Tonfall besänftigte den Sturm in Aliénors Innerem. Endlich nahm sich jemand Zeit für sie. Diese Chance sollte sie nutzen. Vielleicht erreichte sie dann auch ihr Ziel.
«Wenn das so ist, dann freue ich mich.»
Nelrin präsentierte sich als wahrer Kavalier. Während sie beide durch den hinter dem Château liegenden Rosen- und Lavendelgarten schlenderten, erklärte er Aliénor alles, was sie wissen wollte. So erfuhr sie unter anderem, dass im Elfenreich strenge Verhaltensregeln herrschten, dass jede Elfe einer der drei Bevölkerungsgruppen angehörte, der Königsfamilie, dem Adelsgeschlecht oder den vielen Arbeitern, die vor allem mit der Betreuung der Bienen und Gewinnung des täglichen Essens beschäftigt waren.
Da die Elfen keinerlei Handel betrieben, waren sie in Brocéliande auf sich selbst gestellt. Es gab keinerlei Konsumartikel. Jeder besaß zwei oder drei Gewänder und die Möblierung ihrer Behausungen war einfach, wenn man von der Ausstattung des Schlosses absah.
«Nicht alle Zimmer im Schloss sind so schön wie deines», sagte Nelrin. «Das einfache Volk haust in Erdhöhlen im Wald oder schlichten Schilfhütten an Seen. Wir leben vollkommen bescheiden, wie du siehst.»
Das hört sich ja entsetzlich langweilig und rückständig an , dachte Aliénor. Bis jetzt hatte sie nichts gehört, was das Leben bei den Elfen erstrebenswert machte. Sie beschloss das Thema zu wechseln. Ihr war aufgefallen, dass die Elfengesellschaft fast nur aus Erwachsenen bestand.
«Es gibt so wenige Kinder hier. Woran liegt das?»
Genau genommen hatte Aliénor erst drei Kinder unterschiedlichen Alters und eine schwangere Elfe gesehen. Überhaupt wirkten die rund fünfzig Elfen im Schloss fast alle erwachsen und gleich alt. Nur dem König und einigen wenigen anderen sah man an, dass sie um einiges älter waren.
«Wir überaltern und sterben aus», erklärte plötzlich jemand von hinten kommend.
Aliénor erschrak nicht nur über die sich unerwartet einmischende Stimme, sondern auch über deren Worte. Sie hatte einfach mal angenommen, die jüngeren Elfen würden woanders leben, nicht jedoch, dass es tatsächlich keinen Nachwuchs gab.
Es war Aldin, der königliche Berater und Hofschatzmeister. Über seinen Schultern lag ein goldbestickter breiter Schal und er trug einen dunkelblauen Kaftan.
«Verzeiht, dass ich störe. Ich kam zufällig hier entlang.» Er deutete eine Verbeugung an.
Aliénor fühlte sich unwohl unter Aldins unverhohlenem Blick. Er benahm sich, als hätte er ein bestimmtes Interesse an ihr und wäre nicht zufällig hier.
«Aber ihr beiden solltet nicht über so ernste Dinge sprechen. Genießt den schönen Tag.»
Ebenso plötzlich, wie er aufgetaucht war, verabschiedete Aldin sich wieder und schwirrte davon.
Seit Nelrin an ihrer Seite war und sie wie selbstverständlich durch den Tag begleitete, war Aliénor nicht mehr langweilig. Er zeigte ihr die Sehenswürdigkeiten der Umgebung, tief im Wald verborgene mystische Orte und sie hing an seinen Lippen, wenn er von den Sagen erzählte, die sich darum rankten.
So erfuhr
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