Elfenkind
ihn von sich weg zu schieben. Sie atmete einmal tief durch, ehe sie antwortete.
«Nelrin, ich finde dich sehr nett, aber bei uns – also bei den Menschen – habe ich es so kennengelernt, dass man sich erst verliebt, dann eine Zeitlang zusammenlebt und dann vielleicht heiratet. Ich habe niemals in Erwägung gezogen, dass es anders laufen würde und ich bin nicht bereit dazu, dich einfach so zu heiraten, weil …»
Sie drehte sich um, da sie nicht länger die Art und Weise ertrug, wie er sie ansah. Sie konnte ihm unmöglich die Wahrheit sagen. Aber eins musste sie dennoch wissen.
«Es hat wohl keinen Sinn dich zu fragen, warum ich, der Bastard …», begann sie.
«Um Himmels willen, sag das nicht! Du bist eine Elfe wie wir alle und es ist bei uns eine Ehre, überhaupt heiraten und eine Familie gründen zu dürfen! Das wird nicht jedem erlaubt und wer einfach nur so zusammenleben will – also, nein das geht überhaupt nicht!»
«Wie bitte?» Aliénor musste unwillkürlich lachen. Diese Situation war viel zu absurd, um ernst zu bleiben. «In welchem Jahrhundert lebt ihr denn hier?»
Es machte wirklich keinen Sinn, Nelrin zu fragen, warum sie, der Bastard plötzlich den Ansprüchen einer standesgemäßen Heirat genügte. Ganz offensichtlich würde sie darauf keine vernünftige Antwort von ihm bekommen. Aber auf die Ehre einer Elfenheirat verzichtete sie gerne. Zuerst musste sie wissen, wer sie war, wer ihr Vater war und was sie selbst aus diesem neuen Leben machen wollte. Sie war schließlich nicht geflohen, damit nun andere darüber bestimmten.
Sie wandte sich von Nelrin ab, um zurückzufliegen.
«Warte, bitte geh noch nicht. Ich werde dich nicht bedrängen, obwohl du ebenso wenig eine Wahl hast wie ich. Lass uns von etwas anderem reden und einfach ein bisschen Zeit zusammen verbringen.»
Sie zögerte einen Augenblick. Warum nicht. Wissen macht stark, soll er meine Neugierde befriedigen. «Einverstanden. Erzähl mir, worüber du mit Geodin gesprochen hast. Er hörte sich besorgt an.»
Nelrin stöhnte. «Deinen Ohren entgeht wohl nichts, oder?»
Aliénor zwinkerte und legte den Kopf schräg. «Möglich. Also, sag schon.»
Nelrin zögerte noch. «Ich sollte nicht darüber reden.»
«Oh, ist es denn ein so großes Geheimnis? Sag mir, wem sollte ich es verraten? Mit mir spricht doch kaum jemand», erwiderte sie.
«Nein, nein, so meinte ich das nicht. Ich finde nur, es ist unbedeutend.» Er musterte sie aufmerksam. «Aber du siehst nicht so aus, als ob du dich damit zufriedengeben wirst. » Er zog fragend die Augenbrauen hoch. «Also gut. Gibt es da, wo du herkommst, auch Wahrsager wie Geodin?»
Sie nickte. «Zumindest so etwas ähnliches.» Ihr fielen spontan Wetterfrösche, Astrologen und Zirkusmagier ein. Nicht zu vergessen, die Politiker, deren Voraussagen ebenfalls selten zutrafen.
«Nun, dann weißt du ja, dass die gerne alles aufbauschen und sich damit in den Mittelpunkt rücken. Es gibt eine uralte geheimnisvolle Weissagung, die niemand versteht. Geodin behauptet trotzdem, dass sie sich bald erfüllen wird und dass sie das Ende der Welt bedeutet. Nun versucht er einige Leute davon zu überzeugen und glaubt auch noch, er wüsste, was man dagegen tun kann. Aber er ist der einzige, der das ernst nimmt.»
Ein Kribbeln zwischen Aliénors Flügeln setzte ein. «Wie lautet denn diese Weissagung?», fragte sie mit belegter Stimme.
«Nicht Nacht, nicht Tag,
kein Zwielicht, kein Anderlicht.
Alles was ist, wird Nichts sein.
Das Pentagramm vereint
im letzten Gefecht.
Einer im Dunkel geboren, der Sonne fremd.
Einer im Wandel, der Form nicht treu.
Einer im Hellen Zuhause, doch im Dunkel ohne Gefahr.
Einer schwerelos im schattenlosen Zwielicht.
Einer in Vollkommenheit ohne Gestalt.
Doch Einer bindet alle.
Aliénor wurde es mal kalt, mal heiß. Konnte das ein Zufall sein? Als Frédéric ihr davon erzählt hatte, hatte sie kaum glauben können, dass einen baldigen Weltuntergang geben sollte. Wenn dem so wäre, warum berichteten die Zeitungen und das Fernsehen nicht davon? Wenn diese Prophezeiung jedoch nicht nur den Vampiren, sondern auch den Elfen bekannt war, dann sollte sie diese Angelegenheit wohl doch für wahr und wichtig halten.
«Hey, ich wollte dich nicht erschrecken. Du nimmst das doch wohl hoffentlich nicht wörtlich? Das ist einfach nur ein alter überlieferter Reim.»
Aliénor gab sich einen Ruck und lächelte ihn an. «Das hast du wirklich gut vorgetragen», wich sie seiner Frage aus. Er musste
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