Elfenkrieg
machtlos. Sie konnte nicht überall gleichzeitig sein. Doch es musste sich etwas ändern. All dieses Leid! Wie lange würde das Volk des Sonnentals noch durchhalten? Wie lange hielt es bereits durch? Wie hatte es früher hier ausgesehen,als es noch das Lichtreich gegeben hatte? Unter der alten Königin? War das Leid immer schon so groß gewesen?
Das Klirren eines schweren Schlüsselbundes holte Vinae aus den Gedanken. Die Nacht war vorüber, und wieder hatte sie nichts erreicht.
Vinae blickte auf, erwartete die Wächter vom Vortag zu sehen, sie wurde jedoch überrascht, als sie den schwarzen, mit Goldfäden durchzogenen Mantel erkannte, den sich nur jemand von hohem Rang leisten konnte. Es war Daeron, der vor ihrer Zelle stehen blieb und mit ernster Miene zu ihr herab sah. Das braune Haar, ähnlich der Farbe von dunklem Honig, umrahmte sein markantes Gesicht mit der hohen Stirn und der schmalen, etwas zu langen Greifvogelnase. Die Augenbrauen lagen knapp über den ebenfalls honigfarbenen Augen, wobei sie etwas schräg nach oben verliefen und seinen grimmigen Ausdruck noch unterstrichen.
»Die Sonne ist aufgegangen«, sagte er, als er die Tür aufschloss. »Du kannst gehen.«
Vinae rappelte sich auf, streckte ihre steif gewordenen Glieder und hielt ihre Hände vor sich. Es kam selten vor, dass der Fürst sie selbst aus dem Kerker entließ, doch sie kümmerte sich nicht darum. Sie wollte ihn noch nicht einmal ansehen.
Daeron schloss die Eisenringe auf und betrachtete die aufgeschürfte, teilweise blutige Haut an ihren Handgelenken. »Ich kann deine Wunden heilen«, sagte er und strich vorsichtig mit einem Finger darüber.
Vinae zog ihre Hände zurück, richtete sich auf und ließ ihn all ihre Verachtung mit nur einem Blick spüren, bevor sie nach einem Knicks an ihm vorbei, aus der Zelle ging. »Ich komme wieder«, flüsterte sie zu Aden und ging durch den Durchgang in den verlassenen Wachraum.
»Vinae.«
Seufzend blieb sie stehen, wandte sich jedoch nicht um. »Du wirst nicht wiederkommen«, sagte Daeron und trat hinter sie. Er legte seine Hand auf ihre Schulter und drehte sie langsam zu sich herum. »Ich werde nicht zulassen, dass du noch einmal in den Kerker kommst.« Er sprach langsam und eindringlich, und als Vinae ihren Blick abwenden wollte, fasste er unter ihr Kinn und hob ihren Kopf. »Haben wir uns verstanden? Du wirst damit aufhören.«
Vinae riss ihren Kopf zurück, so dass Daeron von ihr abließ. Sie wandte sich um und wollte fortgehen, als sie eine Bewegung im schwach beleuchteten Gang sah.
»Vinae!«, drang die kindliche Stimme aus der Dunkelheit.
»Nefgáld?« Vinae drehte sich nun endgültig um und schlug beim Anblick des Kindes die Hand vor den Mund. Der Junge, der zwar beinahe so groß wie sie selbst war, fiel ihr in die Arme. »Du lebst.« Sie drückte ihn an sich und konnte nicht glauben, dass er tatsächlich hier war. Diesen Jungen kannte sie bereits sein Leben lang. Seiner Mutter hatte sie bei der Geburt geholfen, und die ganze Nacht über hatte sie gedacht, er sei tot.
»Enra wird sich um ihn kümmern«, hörte sie Daeron. »Sie hat einen Sohn in seinem Alter.«
Vinae blickte auf, hielt den Jungen immer noch fest, der sein Gesicht an ihre Schulter presste. »Danke«, flüsterte sie vor Freude strahlend. Ihre Worte waren ernst gemeint. Sie wusste, dass es nicht leicht für Daeron gewesen war. Sie wusste, dass er nicht von Grund auf schlecht war.
Daeron nickte und winkte den Wachmann zu sich, der mit Nefgáld gekommen war. »Bring den Jungen wieder zu Enra«, befahl er, woraufhin Nefgáld sofort herumfuhr.
»Nein, Vinae. Komm mit.«
»Ich werde dich besuchen«, versprach sie. Sie küsste denJungen auf die Stirn und richtete sich auf. »Enra wird gut auf dich aufpassen.«
Der Junge machte ein grimmiges Gesicht, er versuchte, tapfer zu sein, und ließ sich schließlich fortführen.
Vinae wandte sich um und sah zum Fürsten auf, der sie aus leicht zusammengekniffenen Augen musterte.
»Ihr habt ihn verschont«, sagte sie zugleich verwundert und gerührt, wohl wissend, dass sie nicht nach den Eltern des Jungen fragen musste. Sie kannte deren Schicksal.
»Vinae.« Daeron hob seine Hand, berührte leicht ihre Wange, wodurch sie sich unwillkürlich anspannte, jedoch nichts dagegen unternahm. Sie hasste es, musste ihn aber gewähren lassen. So rührte sie sich auch nicht, als er sich zu ihr herabbeugte und auf die Wange küsste. »Hast du über meinen Vorschlag nachgedacht?« Er strich
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