Elfenkrieg
dich töten lässt? Glaubst du etwa, das hätten deine Eltern gewollt?« Der trotzige Ausdruck des Jungen wich, Schmerz legte sich in seine Augen. »Es würde dir niemals gelingen, Nefgáld«, sagte Vinae ernst, »und selbst wenn. Willst du dich wirklich zum Mörder machen?«
»Du hast recht«, antwortete er zerknirscht, doch diese Einsicht kam etwas zu schnell, um glaubwürdig zu sein. »Ich bin einfach noch etwas durcheinander. Das ist alles.«
»Ich würde dir den Dolch wegnehmen«, sagte sie und deutete mit dem Kopf unauffällig zu den Schlangenschilden. »Aber du versprichst, dass du ihn selbst wegschaffst, bevor dich wirklich noch jemand damit sieht.«
»Ja, ich verspreche es.«
Vinae glaubte ihm kein Wort, doch mehr, als Enra zu warnen, konnte sie im Moment nicht tun.
»Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, blickten wir ebenso in die Ferne.« Eamon nahm seine Ellbogen vom Geländer des Balkons und richtete sich auf. »Lange her«, sagte er und wandte sich Aurün zu.
Die nebelblauen Augen waren immer noch von derselben Wärme, die sie noch bei keinem anderen Elfen entdeckt hatte, und auch jetzt noch berührten sie ihr Herz. Aurün war froh, Eamon endlich allein angetroffen zu haben, auch wenn er abwesend und auch etwas traurig wirkte. Der Grund war als undeutlicher Schemen in der Ferne zu erkennen. Dort, wo das graue Meer in der Dunkelheit an die Küste schlug, saß Nevliin und rührte sich nicht. Das rosa Licht des Sonnenaufgangs in ihrem Rücken hatte ihn noch nicht erreicht, und so verschmolz er mit der Düsternis der letzten Momente der Nacht.
»Ich bedaure sehr, was mit Nevliin geschehen ist«, sagte Aurün, während sie ihn gedankenverloren beobachtete. Sie war nie ein Freund des Weißen Ritters gewesen, denn was er ihrem Volk nach den Drachenkriegen angetan hatte, konnte sie nicht so leicht vergessen. Doch solch eine Dunkelheit, wie sie sie in seiner Seele spürte, wünschte sie niemandem.
»Ich auch«, seufzte Eamon und lehnte sich mit dem Rücken an das Geländer, wodurch er ihn nicht mehr sehen konnte. »Ich bedaure auch sehr, was dir passiert ist, Aurün. Und den Tod deines Vaters.«
Sie wandte ihren Blick vom Meer ab und sah ihn an, diesenInbegriff der Güte, dem sie ihr Leben, ihre Seele anvertrauen würde, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Danke.« Sie nickte und versuchte, nicht an die Qualen der letzten Wochen zu denken, doch es war unmöglich. Niemals zuvor hatte sie sich so allein gefühlt. Die Gegenwart ihrer Seelenschwester, aber auch die der anderen Drachen und Drachenelfen waren ein fester Bestandteil ihres Geistes gewesen, doch jetzt waren sie nicht mehr da. Ausgelöscht. Ihr Vater war tot, und sie war allein zurückgeblieben.
»Mein Vater hat dich immer geschätzt«, fuhr sie schließlich fort, und die Erinnerung an ihn schmerzte. »Er konnte dich sehen.« Genauso, wie ich dich sehen kann.
»Das bedeutet mir sehr viel.« Eamon lächelte zaghaft. »Er war ein guter Mann, ein gerechter König. Es tut mir leid, dass ich keine Gelegenheit hatte, ihn besser kennenzulernen.« Er sah ihr in die Augen, und sie wusste, dass er es ehrlich meinte. »Aber ich freue mich, dass du hier bist, Aurün. Ich kann mich nicht erinnern, je einer tapfereren Elfe begegnet zu sein.«
Aurün senkte ihren Blick. »Ich bin meines Vaters Tochter«, sagte sie, wissend, dass sie in naher Zukunft noch oft Gelegenheit bekommen würde, tapfer zu sein, und ihr eine harte Prüfung bevorstand. »Ich bin jetzt die Königin.«
»Aurün ...«
Sie sah wieder zu ihm auf, und ihr Herz schlug schneller, als er sie zu sich umdrehte, einen Arm um ihre Schultern legte und sie zu sich zog.
»Erzähl mir, was passiert ist«, sagte er sanft.
»Das habe ich doch schon, vorhin mit Ardemir und ...«
»Nein. Erzähl mir jetzt, was wirklich passiert ist. Jeden Moment, in dem du allein in der Dunkelheit warst.«
Sie wandte ihren Kopf zur Seite, um ihn anzusehen, denn plötzlich war sie nicht mehr allein.
Eamon nickte auffordernd, und so begann sie zu erzählen.
Ihr gesamter Körper zitterte, während sie sprach und die Bilder ihres toten Vaters, der Schiffe und des leeren Herzraums erneut vor sich sah. Sie erzählte von ihrer Angst, von den Schmerzen und der Einsamkeit während ihres Aufstiegs. Nicht zu wissen, was mit den anderen geschah, sie nicht zu spüren. Und Eamon hörte zu. Er unterbrach sie nicht, stellte keine Fragen, hörte einfach nur aufmerksam zu, während er ihren Arm streichelte. Es war
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