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Elfenkuss

Titel: Elfenkuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aprilynne Pike
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an die Tür, um die unangekündigte Schließung der Buchhandlung am Wochenende zu entschuldigen.
    Dann ging sie langsam nach Hause. Nachdem sie zwei Stunden lang ein Paket Bücher nach dem anderen einsortiert hatte, tat ihr alles weh. Als sie um die letzte Ecke bog, entdeckte sie einen großen rotweißen Wagen in ihrer Einfahrt. Es dauerte ein wenig, aber als sie begriff, dass es ein Krankenwagen war, rannte sie sofort los. Sie stürmte in dem Moment durch die Haustür, als die Sanitäter die Treppe hinunterkamen. Sie trugen ihren Vater auf einer Bahre, ihre Mutter war direkt hinter ihnen.
    »Was hat er denn?«, fragte Laurel, die den Blick nicht von ihrem Vater löste.
    Mit Tränenspuren im Gesicht antwortete ihre Mutter: »Er hat Blut gespuckt. Ich musste den Notarzt rufen.«
    Als die Treppe endlich frei war, nahm Laurel ihre Mutter in den Arm. »Das war genau richtig, Mom. Er wird froh sein, dass du das gemacht hast.«

    »Er traut den Ärzten nicht«, sagte ihre Mutter geistesabwesend.
    »Das ist egal. Er braucht sie jetzt.«
    Ihre Mutter nickte, aber Laurel war sich nicht sicher, ob sie überhaupt zugehört hatte. »Ich muss ihn begleiten«, sagte sie. »Im Krankenwagen darf nur einer mitfahren. Ich rufe dich an, wenn er gut angekommen ist.«
    Laurel nickte. »Geh ruhig. Ich komme alleine klar.«
    Sie hängte ihrer Mutter noch die Handtasche über den Arm, während sie weiter zum Krankenwagen ging, ohne Laurel überhaupt noch wahrzunehmen. Sie sah sich nicht einmal mehr um, als die Türen geschlossen wurden. Als Laurel den Notarztwagen abfahren sah, krampfte sich ihr Magen zusammen. Sie fühlte sich schrecklich. Soweit sie sich erinnern konnte, waren weder ihre Mutter noch ihr Vater jemals im Krankenhaus gewesen, außer zu einem Krankenbesuch. Laurel hatte es nicht wahrhaben wollen, dass es sich bei der Krankheit ihres Vaters um etwas anderes als eine akute Virusinfektion handelte, die von selbst vergehen würde. Aber offensichtlich war das nicht der Fall.
    Sie ging ins Haus zurück und drückte die Tür mit beiden Händen zu. Das Geräusch des einrastenden Schlosses hallte durch den Flur. Ohne ihre Eltern wirkte das Haus riesig und leer. In den letzten fünf Monaten seit ihrem Umzug war sie oft allein hier gewesen, aber an diesem Abend fühlte es sich anders an. Unheimlich. Ihre Hände zitterten, als sie den Schlüssel im
Schloss umdrehte. Sie glitt an der Tür entlang und saß lange auf dem Fußboden, während das letzte Licht des Sonnenuntergangs verblasste und Laurel in unergründlicher Düsternis zurückließ.
    Laurel empfand den Einbruch der Dunkelheit als unausgesprochene Erlaubnis, auch dunklen Gedanken nachhängen zu dürfen. Aber dann stand sie auf und ging in die Küche, wo sie alle Lampen anmachte, bevor sie sich an den Esstisch setzte. Sie holte ihre Englischhausaufgabe heraus und versuchte zu lernen, aber schon beim ersten Satz verschwammen die Buchstaben vor ihren Augen – unsinniges Zeug.
    Sie legte den Kopf auf das Buch und ließ die Gedanken von der Buchhandlung über Tamani zu David schweifen, dann wieder zurück zu ihren Eltern im Krankenhaus und immer weiter im Kreis, bis ihr langsam die Augen zufielen.
    Ein lautes Klingeln riss sie aus ihren wirren, sinnlosen Träumen. Endlich gelang es ihr, auf den grünen Knopf auf dem Telefon zu drücken und sich mit einem verschlafenen »Hallo?« zu melden.
    »Hallo, Liebes, ich bin’s, Mom.«
    Laurel wurde ruckartig wach und schaute mit zugekniffenen Augen auf ihr Englischbuch. »Was haben sie gesagt?«
    »Sie wollen ihn über Nacht hierbehalten und ihm Antibiotika geben. Wir müssen abwarten, wie es morgen weitergeht.« Sie fuhr langsam fort: »Er ist noch nicht mal auf seinem Zimmer, und es wird sehr spät,
bis es so weit ist. Kannst du vielleicht heute Nacht allein bleiben und ihn morgen besuchen?«
    Laurel schwankte kurz. Sie hatte die irrationale Vorstellung, etwas bewirken zu können, wenn sie jetzt ins Krankenhaus ging. Aber das war Quatsch. Am nächsten Morgen war es immer noch früh genug. Sie zwang sich, aufmunternd zu klingen: »Mach dir um mich keine Sorgen, Mom. Mir geht es gut.«
    »Ich liebe dich.«
    »Ich liebe dich auch.«
    Laurel musste also allein im Haus bleiben. Wie von selbst wählten ihre Finger Davids Nummer. Er meldete sich, bevor ihr überhaupt klar wurde, dass sie ihn angerufen hatte. »David?«, sagte sie blinzelnd. »Hi.« Sie schaute zum Küchenfenster, in dem der Mond aufging. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war.

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