Elfenkuss
er weiter: »Und wie geht’s deinem Dad?«
Laurel drehte sich zu dem Regal um und versuchte zum x-ten Mal an diesem Tag, die Tränen zurückzudrängen. Sie spürte, wie David ihre Schultern massierte, und lehnte sich gegen ihn. Das entspannte sie, sie fühlte sich besser, sicherer. »Sie verlegen ihn nach Brookings«, flüsterte sie.
»Geht es ihm schlechter?«
»Schwer zu sagen.«
David legte die Wange auf ihren Kopf.
Das Klangspiel läutete wieder. Obwohl Jen den Kunden bediente, löste Laurel sich von David und atmete tief und zitternd ein, um sich zu fassen. »Ich muss das hier noch erledigen«, sagte sie und hob den Bücherstapel wieder hoch. »Der Laden schließt in einer Stunde und ich muss noch vier Pakete auspacken.«
»Ich helfe dir«, sagte David. »Du musst mir nur sagen, wo sie hinkommen.« Er grinste. »Du darfst mich rumkommandieren.« Er nahm ihr den Bücherstoß ab und strich über den Glanzumschlag des obersten Buches. »Vielleicht könnte ich dir morgen wieder helfen.«
»Du hast doch selbst einen Job. Denk an deine Autoversicherung.«
»Die blöde Versicherung ist mir völlig egal, Laurel«, sagte er schroff. Dann riss er sich zusammen und sprach sanfter und ruhiger weiter. »Das ist das erste Mal in dieser Woche, dass ich dich außer zum Mittagessen und während des Unterrichts sehe, Laurel. Du fehlst mir«, sagte er achselzuckend.
Laurel zögerte.
»Bitte.«
Laurel gab auf. »Gerne, aber nur, bis es meinem Dad besser geht.«
»Das ist bestimmt bald, Laurel. In Brookings gibt es jede Menge Spezialisten, die finden, was ihm fehlt.« Er grinste. »Du kannst von Glück reden, wenn ich eine Woche hier schufte.«
Achtzehn
D avids Optimismus zum Trotz wurden aus der einen Woche zwei und Laurels Vater ging es immer noch nicht besser. Laurel bewegte sich wie ein Gespenst durch ihr Leben und sprach mit kaum jemandem außer Maddie, David und Chelsea, die häufig einfach so in der Buchhandlung vorbeikam. Sie hatten Chelsea bisher nicht richtig ans Arbeiten bekommen – sie witzelte, sie wäre die geborene Aufseherin -, aber es tröstete Laurel, wenn ihre beiden Freunde bei ihr waren.
Wie versprochen war David wild entschlossen, so lange in der Buchhandlung auszuhelfen, bis Laurels Vater wieder zu Hause war. Laurel fühlte sich schuldig, weil er immer weiter ohne Bezahlung arbeitete, obwohl kein Ende absehbar war. Doch bei Diskussionen über dieses Thema verlor sie jedes Mal.
An manchen Tagen, wenn sie sich nachmittags beim Sortieren und Abstauben der Bücher unterhielten, gelang es Laurel, ihren Vater für kurze Zeit zu vergessen. Aber die Sorgen kamen immer rasch zurück. Seit er verlegt worden war, konnte sie ihn nicht mehr täglich besuchen. Als David jedoch endlich seinen Führerschein
bekam, bot er ihr an, sie alle zwei, drei Tage hinzufahren.
Am ersten Tag nach der Prüfung fuhr er mit ihr und Chelsea nach Brookings, und obwohl Laurel sich an ihren Gurt klammerte und Chelsea ihm jedes Mal Vorträge hielt, wenn er zu schnell fuhr, kamen sie heil an.
Laurel hatte Blumen mitgebracht, die sie im Garten gepflückt hatte. Sie hoffte, dass diese Erinnerung an zu Hause ihren Vater anspornen würde, zurückzukommen. Er war sehr schwach und konnte die Augen nur wenige Minuten offen halten, um sie zu begrüßen und sich ganz sachte umarmen zu lassen. Dann sank er in die Vergessenheit zurück, die das Morphium ihm bescherte.
Dies war das letzte Mal gewesen, dass Laurel ihren Vater in wachem Zustand gesehen hatte. Kurz darauf begann das Krankenhauspersonal, ihn rund um die Uhr betäubt zu halten, um ihm die Schmerzen zu ersparen, die nicht einmal Morphium vollständig ausschalten konnte. Insgeheim war Laurel froh darüber. Es war einfacher, ihn im Schlaf zu betrachten. Er wirkte friedlich und zufrieden. Als er noch wach war, musste sie zusehen, wie er versuchte, seine Schmerzen zu verbergen. Außerdem war es schrecklich anzusehen, wie schwach er geworden war. Im Schlaf sah er besser aus.
Dem Labortechniker war es gelungen, einen Giftstoff im Blut ihres Vaters zu isolieren, aber es handelte sich um einen Stoff, den die Ärzte noch nie gesehen hatten und den sie bis jetzt zumindest nicht behandeln
konnten. Sie scheuten keine Mühe und verabreichten ihm alle Chemikalien, von denen sie hofften, dass sie die Wirkung des Gifts aufheben würden. Er wurde zu einem menschlichen Versuchskaninchen. Doch es half alles nichts. Er wurde immer schwächer, und die Ärzte baten Laurels Mutter aus dem Zimmer,
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