Elfenlicht
verändert. Es gab keine Ecken mehr. Die Wände gingen übergangslos in die Decke über. Und das Licht entsprang keiner Öllampe. In die Wand war eine große, ovale Linse eingelassen, die wie ein lidloses Auge starrte.
Obilee kniff die Augen zusammen. Die Duftstoffe im Samt ... Man musste ihnen Rauschmittel beigemengt haben. Was war das für ein Haus? Was bezweckte Shandral damit? Obilee hatte Gerüchte über ihn gehört. Angeblich gehörte er zu den Jüngern Alathaias, jenen Elfen, die sich den verruchten, dunklen Spielarten der Magie ergeben hatten. Magier, die keine Grenze achteten und die ihre Gier nach Wissen in die tiefsten Abgründe getrieben hatte. War dieser Flur ein Abbild dessen, was in Shandrals Kopf vor sich ging? Was bezweckte er mit diesem Schreckenskabinett? Sah so die Welt aus, in der er sich wohl fühlte?
Sollte Melvyn ihn doch holen! Ein bitterer Geschmack lag der Elfe auf der Zunge. Ihre Sinne waren manipuliert. Ständig hatte sie das Gefühl, dass sich gerade außerhalb ihres Gesichtsfelds eine Schattengestalt bewegte. Und der Boden schien unter ihren Schritten nachzugeben wie zäher Schlamm. Doch wenn sie auf ihre Füße blickte, dann sah sie lediglich einen dunklen Steinboden. Hier konnte man nicht einsinken!
Sie musste fort aus diesem Haus, das genauso krank war wie sein Besitzer. Obilee blickte zu dem sich sanft wiegenden Wall aus dunklem Samt. Der Stoff schien sie zu erwarten. Angewidert dachte sie an seine Berührung. Sie zog ihr Schwert. Doch was nutzte das hier schon ...
Die Elfe entschied, weiter dem Gang zu folgen. Vielleicht fand sie ja einen anderen Weg hinaus. Und sei es nur ein Fenster, durch das sie in die Freiheit gelangen konnte.
Vorsichtig schlich sie den Gang entlang und wendete immer wieder abrupt den Kopf, um endlich den Schatten mit ihren Blicken zu fassen zu bekommen. Doch stets entwischte ihr das Trugbild. Etwas anderes konnte es nicht sein! Eine Ausgeburt ihrer Fantasie, gezeugt aus den Rauschmitteln und der Angst, die dieser seltsame Ort atmete. Der Opiumgeruch war noch immer allgegenwärtig.
Jeder Schritt fiel Obilee schwerer. Sie lehnte sich an die Wand und rang nach Luft. Eine leise Stimme drang an ihr Ohr, sie sang ein Kinderlied. Doch die Worte waren verdreht. Sie konnte es nicht richtig verstehen. Immer wieder erklang das Lied. Monoton und ohne Gefühl. Wie eine Beschwörungsformel.
Obilee folgte dem leisen Gesang, bis sie vor einer runden Tür stand, die mit feucht schimmerndem, dunkelrotem Lack überzogen war. Eine leichte Berührung genügte, und die Tür schwang auf. Opiumduft schlug der Elfe entgegen. Feiner Rauch tanzte in der Luft. Die Bewegung der Tür ließ blaugraue Wirbel durch das Zimmer treiben.
Der Elfe zuckte erschrocken zurück. Köpfe wuchsen aus den Wänden. Und noch immer erklang die Stimme.
Flieg, Blütenfee, flieg,
dein Ritter ist im Krieg,
deine Herrin sitzt im Herzeland,
Herzeland ist Schattenland, flieg, Blütenfee, flieg.
Inmitten des Zimmers stand ein großes Bett. Eine Frau mit langem, schwarzem Haar ruhte auf blütenweißem Leinen. Ihre Lippen bewegten sich unablässig. Immer und immer wieder sang sie den Kinderreim und hielt die Augen dabei geschlossen. Eine dünne Decke war über sie gebreitet. Ihr Körper zeichnete sich deutlich unter dem Stoff ab. Er wirkte seltsam ... Zu kurz. Die Proportionen passten nicht zueinander. Ihre Beine! Obilee zog die Decke zurück. Die Elfe war nackt, ihr Leib von langen Striemen gezeichnet, die alle Schattierungen von Blauschwarz bis hin zu einem blassen Graugrün zeigten. Und Obilee sah, was mit den Beinen geschehen war! Sie sah die Wahrheit.
Die Gesichter an den Wänden grinsten spöttisch. Alles schien sich zu drehen. Und immer noch erklang das Lied.
Die Elfe schloss die Augen, doch nach wie vor tanzten die Gesichter um sie. Ihr war übel. Der bittere Geschmack in ihrem Mund ließ sie würgen. Dann hörte sie erschreckend klar ein metallisches Klacken hinter sich. Das Geräusch, das vom Abzugshebel einer Armbrust stammte. Etwas traf sie hart am Kopf. Grelles Licht löschte die tanzenden Gesichter aus. Löschte alles aus.
IN DER TIERHAUT
Das Trommeln im Lager der Kentauren machte ihn unruhig. Der Lutin Nikodemus Glops lag unter einem dichten Busch am Ufer des Mika und beobachtete den Schattenriss des Patrouillenbootes, das langsam näher kam. In Feylanviek hatte sich etwas verändert. Die Kontrollen an den beiden gewaltigen Flussbrücken waren strenger geworden. Plötzlich waren auch
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