Elfenlicht
Blöße, darauf zu antworten. Die Wachen führten Reilif ab, der keinen weiteren Widerstand leistete. Seine Worte hatten sie zutiefst getroffen. Hatte er Recht? War ihre Herrschaft Willkür geworden? Oder waren es die Jahrhunderte, die den Geist der Gesetze unter Bergen von Papier erstickt hatten? Wie hatte es geschehen können, dass Recht und Gerechtigkeit nicht mehr übereingingen?
Emerelle trat an das Stehpult, das hinter der hohen Lehne ihres Throns verborgen stand. Eilig brachte sie ein paar Zeilen zu Papier, die ihr das Herz diktierte, auch wenn sie sich bemühte, dass die Worte nicht allzu verräterisch waren. Sorgsam faltete sie die Botschaft und siegelte sie. Dann trat sie zu Alvias. »Diese Nachricht muss Ollowain erreichen!«
»Das Heer marschiert bereits, Herrin. Es wird schwer sein, zu ihnen durchzukommen. Wenn du gestattest, werde ich höchstpersönlich dein Bote sein.«
Emerelle nickte. »Ich danke dir. Noch ein zweiter Bote muss in dieser Stunde aufbrechen. Er soll Alathaia aufsuchen und der Fürstin von Langollion ausrichten, dass es mir eine Freude wäre, sie als meinen Gast begrüßen zu dürfen.«
»Alathaia«, sagte Alvias. Den deutlich gesprochenen Namen noch einmal zu wiederholen, war die einzige versteckte Kritik, die er sich erlaubte. Nichts an seiner Miene, dem Tonfall seiner Stimme oder seiner Körperhaltung verriet seine Gedanken.
»Ja, Alathaia«, wiederholte Emerelle. Sie wusste, was es hieß, die Herrscherin über Langollion um Hilfe zu bieten, doch ihr blieb keine andere Wahl mehr.
»Dein Wunsch ist mir Befehl, Herrin.« Alvias verneigte sich und verließ mit eiligen Schritten den Saal.
Das Wasser tröpfelte nur noch in dünnen Rinnsalen von den Wänden. Fröstelnd rieb sich Emerelle die Arme. Sie hatte die papiernen Fesseln abgestreift. In dieser Nacht hatte die Willkür Einzug gefunden in den Thronsaal.
DER VORMARSCH AUF DEN MORDSTEIN
»... Auch mit dem Abstand von Jahrhunderten muss der schnelle Schlag, den der Schwertmeister Ollowain im dritten Trollkrieg gegen das Heerlager am Mordstein führte, als beispielhaft gelten. Weniger als drei Tage lagen zwischen dem Beginn der Planung und dem Aufbruch der Truppen, die den Überfall durchführen sollten. Der Verband bestand aus circa 8000 Kentauren, 1754 Mann schwerer elfischer Reiterei, 382 Streitwagen aus Arkadien sowie 281 Kutschen, auf denen Ausrüstung und circa 1200 Koboldarmbrustschützen und etliche Torsionsspeerschleudern transportiert wurden. Des Weiteren waren 412 Minotauren sowie 587 berittene elfische Bogenschützen, bei denen es sich mehrheitlich um Normirga handelte, an der Operation beteiligt, sowie eine Spähertruppe, zu der neben mehreren Schwarzrückenadlern sogar ein Lamassu gehörte. Trotz der beachtlichen Größe dieser Streitmacht war das Heer der Trolle den Verbündeten immer noch um etwa das Fünffache überlegen.
Um einen überraschenden Schlag zu führen, marschierten die Verbündeten bei Nacht. Ein Schirm von Spähern deckte die meilenlange Marschkolonne. Falkner ließen ihre Greifvögel aufsteigen, um Raben und andere Vögel, die Trollen als Kundschafter dienen mochten, vom Himmel zu vertreiben. Die Schwarzrückenadler konnten unter Führung des Maurawan Melvyn alle Späher der Trolle stellen, die sich dem Heerzug näherten. Der Augen ihres Heeres beraubt, wären der junge Trollkönig Gilmarak und seine Beraterin Skanga wohl dem Untergang geweiht gewesen, hätte es nicht einen Verräter unter den Verbündeten gegeben. So aber kannten die Trolle nicht nur Tag und Stunde des Angriffs, sie wussten sogar um die genaue Zusammensetzung der Truppen Albenmarks. Und sie waren bereit, als das Heer der Verbündeten am dritten Morgen, nachdem es Feylanviek verlassen hatte, aus dem trockenen Flussbett des Myra hinaus auf die Ebene südlich des Mordsteins marschierte. Sie hatten einen Plan ersonnen, wie das ganze Heer Albenmarks zu vernichten war....«
VOM KRIEG MIT DEN TROLLEN, VON: CAILEEN, GRÄFIN ZU DORIEN, TALSINER GOLDSCHNITTAUSGABE, S. 603
VON DER LOGIK DES KRIEGES
Ollowain war auf einen flachen Hügel geritten, der sich dicht neben dem ausgetrockneten Flussbett erhob. Er blickte nach Osten. Bald würde sich der erste Silberstreif am Himmel zeigen. Es war der Augenblick des Zwielichts, in dem das Ringen zwischen der Nacht und dem neuen Tag noch nicht entschieden war. Die Dunkelheit wich zurück, doch noch zeigte sich die Sonne nicht. Die Wagen und Reitertruppen hatten die Schwalben aufgeschreckt,
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