Elfenlicht
solltest den zweiten Albenstein für dich gewinnen«, meinte Alathaia. »Wenn die Gefahr durch die Yingiz gebannt ist, dann kannst du dich mit aller Kraft den Trollen widmen. Du darfst dich nicht zwischen diesen beiden Kriegen aufreiben. An keiner Front wirst du einen Sieg erringen, wenn du nur mit halber Kraft kämpfst.«
Emerelle betrachtete nachdenklich das Buch und die Steinfragmente, die wie Schmuck in den prächtigen Einband eingelassen waren. »Ich habe versucht, den Albenstein wieder zusammenzufügen, doch er widersetzt sich mir.«
»Du hast mich doch gerufen, damit ich dir helfe. Dann nimm meine Hilfe an. Ich habe in den letzten Wochen einige Zauber erprobt und bin sehr zuversichtlich, dass wir erfolgreich sein können.« Sie lehnte sich zurück. Alathaia strahlte eine provozierende Selbstsicherheit aus. Sie war eine schöne Frau. Jede ihrer Gesten war sorgsam einstudiert. Sie wusste um ihre Wirkung, ihre Ausstrahlung. Wappnete sie sich gerade noch in einen Panzer aus Eis, der es unmöglich machte, ihr nahe zu kommen und ihre wahren Gefühle auch nur zu erahnen, so vermochte sie binnen eines Augenblicks eine völlig andere zu werden. Ein einladendes Lächeln, ein verheißungsvoller Blick, ein laszives Räkeln ... Mit ihr könnte man seine dunkelsten Sehnsüchte ausloten. Träume, die einen mitten in der Nacht schweißgebadet auffahren ließen und über deren Abgründe nie ein Wort über die Lippen drang ... Mit Alathaia konnte man sie Wirklichkeit werden lassen.
Emerelle hatte sich nie zu Frauen hingezogen gefühlt, doch selbst bei ihr blieb die sinnliche Ausstrahlung der Fürstin von Langollion nicht ohne Wirkung. »Du weißt also, wie man den Stein zusammenfügen kann.«
Kerzenlicht spiegelte sich auf den dunklen, granatfarbenen Lippen der Fürstin. »Dir wird nicht gefallen, was du zu hören bekommst, Emerelle. Und das liegt daran, dass unser Volk seit Jahrhunderten in seinen selbst gezogenen Grenzen gefangen ist. Wir sind erstarrt, unfähig, uns den neuen Zeiten anzupassen. Und deshalb werden wir untergehen, wenn du nicht den Mut hast, falsche moralische Schranken hinter dir zu lassen. Nur Blutmagie hat die Macht, den Albenstein wieder zusammenzufügen. Ich fordere von dir dreizehn Kinder von edlem Blut. Elfenkinder müssen es sein, geboren in den ältesten unserer Sippen. In ihnen brennt das Licht des Lebens am stärksten. Diese Kraft, richtig gelenkt, wird den Stein wieder in seine ursprüngliche Form zwingen.«
Emerelle spürte einen Stich in ihrem Herzen. Unwillkürlich fuhr sie sich mit der Hand an die Brust. Sie musste sich beherrschen! Was Alathaia forderte, war ungeheuerlich, aber es war kein Grund, sich derart gehen zu lassen. Obwohl sie diesen Gedanken in aller Klarheit zu fassen vermochte, stiegen ihr dennoch Tränen in die Augen.
Der Fürstin entging nichts. Emerelle fühlte sich nackt unter ihrem unbarmherzigen Blick. »Natürlich wirst du den Dolch führen müssen, der die Kehlen der Kinder durchtrennt, denn du besitzt den Albenstein. Du bist der Brennpunkt der magischen Macht. Es sei denn, du würdest mir den Albenstein anvertrauen.« Sie lächelte. »Aber mein Ruf lässt das vermutlich wenig empfehlenswert erscheinen.«
»Glaubst du wirklich, du könntest mich dazu bringen, Kinder zu töten?«
Alathaia hob eine Braue. »Glaubst du, du könntest dem entgehen? Du wirst Kinder töten, Emerelle. Die einzige Frage, die sich stellt, ist: Wie viele wirst du töten? Hast du den Mut, den Dolch selbst in die Hand zu nehmen? Kannst du es ertragen, ihr warmes Blut über deine Finger fließen zu spüren? Und wirst du ihren ersterbenden Blicken standhalten? Oder fliehst du in dein Gefängnis heuchlerischer Moral? Mit einem zweiten Albenstein können wir die Yingiz verbannen und einen schnellen Sieg gegen die Trolle erringen. Hast du nicht den Mut, diesen Weg zu beschreiten, dann wird es einen langen, blutigen Krieg geben. Und so wie es aussieht, werden die Trolle gewinnen. Natürlich kannst du deinem Gewissen sagen, du hättest deine Hände niemals in Blut getaucht. Die Wahrheit aber sieht anders aus. Deine Entscheidung wird hunderte, vielleicht sogar tausende Kinder das Leben kosten. Du weißt, was ein Krieg mit den Trollen bedeutet. Scharen von Flüchtlingen ... Es sind die Kinder, die als Erste sterben. Und wenn der Krieg vorüber ist? Werden die Trolle dann nicht versuchen, die Fürstenfamilien der Elfen auszulöschen? Von den Kindern, die ich fordere, um den Albenstein zusammenzufügen,
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