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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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Nur hier hatte der Zeichner Farbe benutzt. Die Gestalt trug eine lange, blaue Kutte und stand neben einem verbrannten Baum.
    Kadlin fiel auf, dass vor allem das Gesicht einer alten Frau immer wieder auftauchte. Die Jägerin trat ein, doch egal, wohin sie sich bewegte, die Augen dieser Frau schienen sie zu verfolgen. Im Gegensatz zu den anderen Gesichtern blickte sie jeden, der durch die Tür kam, geradewegs an.
    Die Kammer war karg eingerichtet. Auf dem niedrigen Bett lag eine Schaffelldecke. Auf einem Tisch lagen ordentlich ausgerichtet einige Pinsel. Flache Schalen standen in Reih und Glied. In einigen hafteten noch eingetrocknete Farbreste. Ein Bogen Pergament war mit dünnen Nadeln auf die Tischplatte geheftet. Daneben lag ein Kistchen aus abgegriffenem Leder.
    »Ich werde dir keine Fragen beantworten«, sagte Gundaher gehetzt. »Du bist die Erste, die meine Kammer betreten darf, und ich wäre dir dankbar, wenn du niemandem von dem erzählen würdest, was du hier siehst.« Der Baumeister trat an den Tisch, griff nach dem Kästchen und reichte es ihr. »Mein Geschenk an dich. Ein Dichter würde sagen, es enthält die Asche meines vergangenen Lebens. Mariotte ist dort ...«
    Er schüttelte traurig den Kopf. »Ich kann dir nicht erzählen, was geschehen ist. Doch du wirst dem Schrecken so nahe kommen, wie es möglich ist, ohne selbst auf dem Mons Gabino gewesen zu sein. Manches wird sich dir sofort erschließen. Anderes habe auch ich nach fünfzehn Jahren noch nicht begriffen. Vielleicht wirst du jemanden finden, der die Ereignisse zu deuten weiß, die mich hierher trieben. Ereignisse, die mich noch immer nachts verfolgen.« Er deutete auf die Wände. »Und selbst am Tage sind die Verlorenen nie weit von mir.«
    »Aber ...«
    Gundaher zischte und hob einen Finger an die Lippen. »Nein! Keine Fragen.« Er atmete plötzlich wieder schwer und griff sichan den Kopf. »Öffne die Schließe seitlich am Buch. Sieh es dir an. Und nun geh! Ich kann die Schmerzen besser ertragen, wenn ich allein bin.«
    Kadlin wich durch die Tür zurück, die der verrückte Baumeister sofort hinter ihr verschloss. Sie war erleichtert, die Kammer verlassen zu haben. Neugierig betrachtete sie das ledergefasste Kästchen. Das also war ein Buch. Sie hatte davon erzählen hören, konnte sich aber nie eine rechte Vorstellung machen, wie so ein Buch wohl aussah.
    Vorsichtig schob sie mit dem Daumen die Bronzeschließe auf. Dann klappte sie den Deckel zurück. Ein Frauengesicht blickte ihr entgegen. Sie hatte weizenfarbenes Haar und schöne, sinnliche Lippen. Ob das die Mariotte war, von der Gundaher gesprochen hatte? Im Hintergrund sah man ein Gebäude auf einem steilen Berg. Wohl eine Burg. Obwohl sie nicht sonderlich trutzig aussah, war die Anlage doch von einer steinernen Mauer umgeben.
    Kadlin blätterte weiter. Die Bilder zeigten eine Gruppe von Männern und Frauen, die offenbar in der Burg lebten. Sie alle trugen lange blaue Kutten wie jene Gestalt auf den Wänden in Gundahers Kammer. Dann erschien der Mann aus der Kammer. Er wurde freundlich aufgenommen.
    Kadlin hatte das Buch nun halb durchgeblättert und kein einziges Runenzeichen entdeckt. Doch die Bilder wurden schlechter, seit der Gast auf ihnen auftauchte. Es sah ganz so aus, als seien sie in großer Hast entstanden. Ein wenig enttäuscht von ihrem Schatz blätterte Kadlin weiter – und fand das Grauen.

DER VORMARSCH BEGINNT
     

    VERTRAULICHER BERICHT! UNBEDINGT UNTER VERSCHLUSS ZU HALTEN! BEDARF DER FREIGABE DURCH DIE KÖNIGIN!
    »... Der Herbst war schon fortgeschritten, als der Vormarsch der Trolle begann. Nur wenige Bewohner Feylanvieks waren dem Befehl der Königin gefolgt und hatten die Stadt verlassen. Ich glaube, viele von denen, die blieben, konnten sich nicht wirklich vorstellen, dass man ihre Stadt aufgegeben hatte. Bis zuletzt hielt ich mit einer Nachhut der Reiterei Stellung. Ich war gefangen zwischen meinen Befehlen und der militärischen Notwendigkeit, den Vormarsch des Feindes so schwer wie möglich zu machen. Ich entschied mich gegen die Königin ...
    Die letzten Elfen, die Feylanviek verließen, setzten die Lagerhäuser am Mika in Brand. Es geschah noch, während die ersten Trolle über den Mika übersetzten. Die Eroberer hätten die Vorräte an sich genommen, so sagt es die Logik des Krieges. Sie brauchten alle Lebensmittel, um ihr riesiges Heer über die weite, karge Steppe zu bringen. Ich wusste ja nicht, wie es in Talsin kommen würde. Ich war überzeugt, das

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