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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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manchmal Angst gehabt. Einmal hatte er sehr mit ihnen geschimpft, weil sie Runenzeichen in einen der Deckenbalken ihrer Hütte geschnitzt hatten und Kalf befürchtet hatte, die Zeichen würden am Ende gar böse Geister herbeirufen.
    Weil sie beide kleine Mädchen gewesen waren, hatte es ihnen nicht ausgereicht, die Schrift zu kennen. Eines Tages hatten sie entdeckt, dass die Runen ganz anders aussahen, wenn man ein beschriebenes Stück Birkenrinde an einem windstillen Tag über das unbewegte Wasser des Sees hielt. Sie hatten die Zeichen nachgeahmt, bis sie so gut darin geworden waren, dass man einen Text über Wasser halten musste, um ihn richtig lesen zu können. Diesen neuen Zauber, um Worte einzufangen, der nur ihnen beiden gehörte, hatten sie Wasserrunen genannt. Und in genau diesen Wasserrunen schrieb Gundaher!
    Kadlin war regelrecht erschrocken, als sie es erkannt hatte. Der Baumeister hatte etwas gestohlen, von dem sie ganz sicher gewesen war, dass es ihr und ihrer Schwester bis ans Ende aller Tage allein gehören würde. Seine großen Füße stanzten die Wasserrunen in den jungfräulichen Schnee. Und wenn er ein Zeichen vollendet hatte, dann machte er einen tänzerischen Sprung, um ein Stück entfernt die nächste Wasserrune zu beginnen. Jeden Tag waren es nur zwei oder drei Runen, die der Tänzer in den Schnee schrieb.
    Kadlin beobachtete den Baumeister. Kurz blickte sie zum Torturm. Natürlich war auch er ein Zauberer. Wer sonst als ein Zauberer hätte einen so gewaltigen Turm bauen können! Er hatte auch etwas von einem Priester, die stille Art und all das Wissen, das er besaß. So viele Geheimnisse konnte man doch nur kennen, wenn man den Göttern näher war als andere Sterbliche!
    Gundaher machte einen letzten Sprung und ging dann zu seinem Umhang, der im Schnee lag.
    E H T hatten seine Füße in den Schnee gestampft.
    DER FREUND GEHT.
    Das war seine Botschaft. Jetzt war sie vollständig. Kadlin runzelte die Stirn. Was wollte Gundaher damit sagen? Sie hatte mit einem Geheimnis gerechnet. Mit etwas, das einem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Aber das hier ... So eine Enttäuschung. Der Freund geht. Wollte Gundaher sie vielleicht veralbern? Hatte er das nur geschrieben, weil er wusste, dass sie ihm zusah?
    Der Baumeister lehnte sich an die Burgmauer. Er presste beide Hände an die Schläfen, als habe er schreckliche Kopfschmerzen. Er sah wirklich nicht gut aus.
    Kadlin lief den Wehrgang entlang und eilte die steile Steintreppe hinab. Als sie aus dem Tor bog, kam ihr Gundaher entgegen. Mit einer Hand tastete er sich an der Mauer entlang. Seine Augen waren geschlossen. Mit der Rechten rieb er sich die Stirn.
    »Kann ich dir helfen, Baumeister?«
    Er blinzelte sie an. »Lass mich!«
    »Im Küchenhaus müssten die ersten Brote fertig sein. Es wird dir besser gehen, wenn du etwas isst und trinkst.« Er stieß ein trockenes Lachen aus, das an das Krächzen eines Raben erinnerte. »So, wird es das? Du bist also eine Heilerin.«
    »Ich könnte dir auch einen Sud aus Weidenrinde kochen.« Er blinzelte sie erneut an. Offensichtlich bereitete es ihm sogar schon Schmerzen, die Augen offen zu halten. »Du kennst dich ja tatsächlich aus, Mädchen. Verzeih, ich dachte, du seiest nur die Hure des Herzogsohns.«
    »Dann wäre ich ja in bester Gesellschaft. Man erzählt sich, seine Mutter sei auch einmal eine Hure gewesen.«
    »Zuzuhören gehört wohl nicht zu deinen Gaben. Seine Stiefmutter war einmal eine Hure. Aber man sollte die Leute nicht nach dem beurteilen, was sie einmal waren, sondern nach dem, was sie sind.« Er lehnte sich an die Mauer und presste wieder beide Hände an die Schläfen.
    »Und zu deinen Gaben gehört es wohl nicht hinzusehen. Sonst könntest du vielleicht zwischen einer Hure und einer Jägerin, die es gut mit dir meint, unterscheiden.«
    »Bin ich jetzt in Gefahr, von dir niedergeschlagen zu werden?«
    »Ich mag meine Fehler haben, Baumeister. Aber ich schlage nicht auf Dunghaufen. Bleib doch hier und verrecke im Schnee. Mich wundert es nicht, dass deine Freunde gehen!« Sie wandte sich um und trat in das Dunkel des Torgangs.
    »Warte!«
    Sollte er ihr doch den Buckel runterrutschen! »Hörst du mich, Mauer? Sag deinem Baumeister, ich schlage nicht auf Dunghaufen, und ich rede auch nicht mit ihnen!«
    »Es tut mir leid, Mädchen. Wenn ich diese Schmerzen habe, sage ich manchmal Dinge, die ich später bereue.«
    Kadlin ging weiter. »Ich hoffe, deine Reue ist angenehmere Gesellschaft als

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