Elfenlicht
untersucht. Die Waffe hatte nichts Magisches an sich. Sie war nichts Besonderes, im Gegenteil. Sie war aus schlecht verhüttetem Eisen geschmiedet. Im Kampf gegen eine Klinge aus dem Silberstahl der Elfen würde sie in Stücke gehackt werden. Vielleicht war es gerade diese Unvollkommenheit, die den Shi-Handan getötet hatte. Alathaia war der Auffassung, das Schwert sei einem der Menschengötter geweiht und diese fremde Art von Zauber könne kein Geschöpf Albenmarks ergründen.
»Kadlin und Gundaher, ihr hattet den Wunsch, mich zu sehen. Was ist euer Begehr?« Das Mädchen hielt ihr das Buch hin. »Der Baumeister weiß, woher der Shi-Handan kam. Er kennt den Mann, der ihn erschaffen hat. Sein Name ist Bruder Jules. Er ist ein Tjuredpriester.« Der Baumeister stöhnte. Sein Gesicht war aschfahl geworden, als leide er große Schmerzen.
»Ich bitte dich, sieh dir dieses Buch an.« Gundaher schwankte. Alvias trat vor und fing den Mann auf, bevor er stürzte.
Emerelle erhob sich. Sie umrundete den Falrach-Tisch und kniete nieder. Ihre Hände umfassten die Schläfen des Menschen und hatte Teil an seinem Schmerz. Sie spürte die fremde Macht, die den Baumeister gezeichnet hatte. Und sie spürte die Nähe des Todes. Ein stummes Kräftemessen begann. Emerelle hörte Kadlin sprechen, doch sie konnte dem Sinn ihrer Worte nicht folgen. All ihre Kraft musste sie aufbieten, um dem, was Gundaher töten wollte, zu widerstehen. Ihre Linke umklammerte den Albenstein, den sie auf ihrer Brust trug. Sie spürte, wie sich etwas tief im Kopf des Baumeisters bewegte. Etwas, das durchdrungen war von Magie, Bosheit und Hunger.
Gundaher wurde von Krämpfen geschüttelt. Blut trat aus seinen Augen. Emerelle spürte, wie auch über ihre Wangen warme Tränen rannen. Sie spürte, wie sich die Geschöpfe im Kopf des Baumeisters wanden, wie sie fraßen. Schmerz und Ekel drohten sie zu überwältigen. Sie wurde sich bewusst, wie lange der Mensch schon unter dieser Folter litt, und sie begriff, welchen Schaden sie angerichtet hatten. Wie sich ein freundlicher, weltoffener Mann in einen Eigenbrötler verwandelt hatte, dessen unerwartete Bosheiten alle fürchteten, die Umgang mit ihm pflegen mussten.
Emerelle konnte nicht heilen, was die Kreaturen angerichtet hatten. Aber sie konnte den Schmerz mit Gundaher teilen, und sie konnte die Geschöpfe töten, eines nach dem anderen. Das stumme Duell schien Stunden zu dauern. Sie war am Rande der Erschöpfung, als die schleimbedeckten Würmer aus der Nase des Baumeisters quollen. Feist, fast so groß wie die Finger eines neugeborenen Kindes.
Die Königin hob die Kreaturen auf, trat an eine Feuerschale, die das Zimmer wärmte, und schnippte die Würmer in die glühenden Kohlen. Mit einem kurzen Zischen vergingen die bleichen Leiber.
Emerelle wusste, wer das getan hatte. Müde stützte sie sich auf die Kante des Falrach-Tisches. Es war nicht weise gewesen, so zu handeln. Morgen, wenn die Schlacht begann, würde sie all ihre Kräfte brauchen.
Kadlin war sehr blass geworden. Sie sah sie mit großen Augen an. »Was war mit ihm? Wird er wieder gesund werden? Gibt es noch mehr von diesen Würmern? Und ...«
Emerelle beendete mit einer fahrigen Geste den Strom der Fragen. »Die Würmer sind tot, doch ob er geheilt ist, wird man erst nach einiger Zeit sagen können. Vor langer Zeit scheint er einem Wesen von großer Macht und schrecklicher Bosheit begegnet zu sein. Dem Devanthar. Es ist bemerkenswert, dass Gundaher so lange gelebt hat. Und ich vermag nicht zu ergründen, warum der Devanthar ihm das angetan hat.« Sie winkte Alvias. »Lass eine Trage bringen und sorge dafür, dass der Baumeister ein gutes Quartier erhält.«
»Danke«, sagte Kadlin aufgewühlt. »Ich schulde dir ...«
»Nichts!«, unterbrach Emerelle das Mädchen. Sie wollte allein sein. Die Begegnung mit der Bosheit des Devanthar hatte ihre letzten Kräfte verbraucht.
»Er ist der einzige Mensch, der mir in einer fremden Welt geblieben ist. Ganz gleich, was du sagst, ich stehe in deiner Schuld.«
Zwei junge Krieger mit einer Trage betraten das Zimmer. Sie hoben den bewusstlosen Baumeister auf. Kadlin legte das kleine Buch auf den Rand des Falrach-Tischs. Die ganze Zeit über hatte sie es in Händen gehalten. Scheu blickte sie zu Emerelle. »Dort wirst du Antwort darauf finden, wann er der Bosheit begegnete und woher die Geisterhunde kommen«, sagte sie. Dann folgte sie den Kriegern, die Gundaher fortbrachten.
Emerelle lauschte auf die
Weitere Kostenlose Bücher