Elfenlicht
Seelen Albenmarks sind. So zart, dass sie schon unter einem Schatten vergehen.« Er hob den Kopf. »Nicht wahr, Ganda?«
»Du liest in meinen Gedanken, Meister?« Die Lutin hörte sich überraschend kleinlaut an.
Die Erkenntnis, dass man vor Gengalos nichts verbergen konnte, beunruhigte Ollowain. Um möglichst wenig von sich preiszugeben, dachte er an die Schrittfolgen der ersten Lektion des Schattenkampfs, einer Schwertkampfübung, bei der man wie ein Tänzer in streng festgelegten Bewegungsabläufen gegen imaginäre Gegner antrat.
»Was sperrst du dich, Schwertmeister?« Gengalos klang enttäuscht. »Zu wissen ist meine Aufgabe. Das ist der Sinn dieser Bibliothek. Also nehme ich Wissen auf, wo immer ich es finde, und ich suche vor allem dort, wo man etwas vor mir verbergen will. Aber ich werde es dir nicht mit Gewalt entreißen. Ihr wollt meine Hilfe. Ihr seid hier, um den Schaden zu begrenzen, den eure Königin im Zorn angerichtet hat. Eigentlich sollte Emerelle hier stehen ...«
»Sie verteidigt Albenmark«, unterbrach ihn Ollowain kühl. »Das Herzland ist in Gefahr.«
»Ja, in einer Gefahr, die Emerelle selbst heraufbeschworen hat. Glaubst du, sie war leichtfertig? Oder hat sie es getan, um ihre Herrschaft im Schatten einer neuen Bedrohung auch weiterhin zu rechtfertigen? Glaubst du, Albenmark wird vergehen, wenn Emerelle nicht mehr herrscht? Glaubst du, das Werk der Alben ist so schwach, dass es von einer einzigen Seele abhängt?«
»Was ich glaube oder nicht, tut nichts zur Sache. Ich habe eine Mission, und die werde ich erfüllen. Wirst du mir helfen, Meister Gengalos? Stehst du für oder wider die Königin? Bekenne dich!«
Der Hüter des Wissens erhob sich. Er war fast einen Kopf größer als Ollowain. »Das ist das Ärgernis mit euch Elfen. Ihr bringt wunderbare Künstler hervor, Dichter und Philosophen, Baumeister und Krieger, die ihresgleichen suchen. Nur in einer Sache seid ihr jämmerlich. Entweder ist man für euch, oder man ist gegen euch. Dazwischen gibt es nichts. Euch würde niemals einfallen, dass ihr Feinde habt, die euch im Grunde ihres Herzens lieben. Ein Teil eurer Größe liegt darin begründet, dass ihr euch gegen sie behaupten müsst. Vielleicht bin auch ich solch ein Feind, Ollowain? Hier gelten Emerelles Befehle und Wünsche nichts. Und komm mir nicht damit, dass Albenmark bedroht ist. Mir bedeutet es ebenso wenig wie Ganda, wer dort herrscht. Eine Welt zu retten ... das ist ein zu großes Ziel, um wahrhaftig zu sein. Unsere wirklichen Beweggründe sind in der Regel von viel geringerer Natur. Das schätze ich an deiner Begleiterin. Sie ist hier, um die Blütenfeen vor den Schatten zu retten, die Emerelle so leichtfertig in eure Welt gelassen hat. Sie kennt ihre Gedichte, und sie war ihren Seelen nahe. Auch wenn mein geschätzter Freund Chiron nicht viel von den Lutin im Allgemeinen hält, so heiße ich dich ausdrücklich willkommen in der Bibliothek, Ganda. Die Schriften über die Geheimnisse der Alben werden dir offen liegen. Doch sei gewarnt, sie können den Geist verwirren und sind nur selten eine Hilfe. Du aber, Ollowain, wirst für euch beide den Preis zahlen, den Iskendria von seinen Besuchern fordert. Du wirst dem Hüter der Albenschriften in allen Einzelheiten von den Kämpfen um die Snaiwamark berichten. Unser Wissen über diese Auseinandersetzung ist noch sehr lückenhaft, und wer könnte diese Lücken besser schließen als der Feldherr, der den Oberbefehl auf Seiten der Elfen führte.«
»Das kann ich nicht«, sagte der Schwertmeister.
»Warum? Weil du die Erinnerung an all das, was zu Lyndwyns Tod führte, tief in dir begraben möchtest?«
»Wenn du ohnehin in meinen Gedanken liest, warum sollte ich dir dann noch etwas berichten?«, begehrte Ollowain auf. »Weil es dir Freude macht, mich zu quälen?«
»Nein, Elf. Weil es einen Unterschied macht, ob diese Geschichte in deinen oder meinen Worten niedergeschrieben wird. Du hast bis morgen Zeit, dich zu entscheiden, Ollowain. Chiron wird euch jetzt zu euren Unterkünften bringen, in denen ihr ein Nachtlager für die Dauer eures Aufenthalts in der Bibliothek findet. So ist es Brauch bei uns. Jeder Suchende soll zunächst eine Nacht mit sich und seinen Gedanken verbringen, bevor wir ihn zu den Büchern führen. Ihr seid nun entlassen.«
Der Schwertmeister ahnte, dass es sinnlos wäre, sich gegen die Befehle von Meister Gengalos aufzulehnen. Noch wusste er nicht, wie er sich entscheiden würde. Bisher hatte er allein
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