Elfenliebe
ab.
»Natürlich«, sagte Rhoslyn verständnisvoll, ohne zu merken, welche Spannungen sie ausgelöst hatte.
»Du bist jederzeit willkommen, Laurel. Ich habe mich sehr gefreut, dich wiederzusehen.«
Laurel lächelte wie betäubt. Sie spürte, wie Tamani seine Finger mit ihren verflocht und sie langsam zur Tür zog.
»Kommst du zurück, Tam?«, fragte Rhoslyn, als sie an der Tür standen.
»Ja. Ich muss bei Sonnenaufgang wieder am Tor sein, aber ich übernachte hier.«
»Schön. Rowen wird schon schlafen, wenn du wiederkommst. Ich sorge dafür, dass dein Bett dann frei ist.«
Laurel verabschiedete sich, drehte sich um und ging voran zur Hauptstraße, auf der sie vor knapp einer Stunde hergekommen waren. Als Tamani ihre Hand losließ und seinen Platz zwei, drei Schritte hinter ihr wieder einnahm, verschränkte sie die Arme vor ihrer Brust und schimpfte vor sich hin.
»Sei bitte nicht so«, sagte Tamani leise.
»Ich kann nicht anders«, erwiderte Laurel. »Die Art, wie sie …«
»Ich weiß, du bist das nicht gewohnt, Laurel. Aber so ist es hier nun mal. Ich bin sicher, den anderen in deiner Klasse ist das völlig egal.«
»Weil sie nichts anderes kennen. Du schon.«
»Wieso? Weil ich weiß, wie es bei den Menschen zugeht? Du unterstellst dabei, dass ihr es besser macht.«
»Es ist besser!« Laurel drehte sich um und sah ihn direkt an.
»Vielleicht für Menschen«, konterte Tamani mit fester Stimme. »Menschen sind aber keine Elfen. Bei Elfen herrschen andere Notwendigkeiten.«
»Heißt das, du bist damit einverstanden? Dass Elfen ihren Eltern entrissen werden?«
»Ich sage nicht, dass das eine besser ist als das andere.
Außerdem habe ich nicht so nah bei den Menschen gelebt, um das beurteilen zu können. Aber stell dir mal vor …« Er legte eine Hand auf ihre Schulter und die Berührung nahm seinen Worten die Spitze. »… wir würden hier in Avalon so leben wie du bei den Menschen. Jedes Mal, wenn Frühlingselfen einen Herbstsetzling bekämen, bliebe er bei ihnen, und sie müssten ihn aufziehen. Nur müsste er sie jeden Tag verlassen und zwölf Stunden in der Akademie lernen. Sie würden ihren Setzling nie sehen – und nichts von dem verstehen, was er – oder sie – lernen muss. Überdies hätten sie keinen Garten an ihrem Haus. Herbstelfen brauchen aber einen Garten für ihre Hausaufgaben. Also müsste der Setzling nicht zwölf, sondern vierzehn, sechzehn Stunden von zu Hause fortbleiben. Die Eltern würden ihn schrecklich vermissen – und er sie umgekehrt auch. Sie würden sich so wenig sehen – am Ende wären sie einander tatsächlich fremd. Der einzige Unterschied zu jetzt wäre, dass die Eltern wüssten, was sie vermissen. Und das tut allen Beteiligten weh, Laurel, verdammt weh. Jetzt sag mir, was besser ist.«
Laurel war entsetzt, als sie langsam begriff. Sollte er recht haben? Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken. Und doch hatten seine Worte eine brutale Logik, die sie nicht leugnen konnte.
»Ich sage nicht, dass es besser ist«, fügte Tamani mit sanfter Stimme hinzu. »Und nicht einmal, dass du das verstehen musst. Aber denk nicht, wir wären gefühllos, weil wir die Unteren von den Oberen trennen. Glaube mir – wir haben unsere Gründe.«
Langsam nickte Laurel. »Was ist mit den Vätern?«, fragte sie in ruhigem Ton. »Hast du einen Vater?«
Tamani nagelte seinen Blick am Boden fest. »Ich hatte einen.« Er würgte es beinahe heraus.
»Tut mir leid … Ich wollte nicht … Entschuldige, Tamani. « Sie berührte seine Schulter und hätte gern mehr getan.
Tamani biss die Zähne zusammen und rang sich ein Lächeln ab. »Geht schon. Ich vermisse ihn einfach sehr. Und es ist erst einen Monat her.«
Einen Monat. Das war genau die Zeit, als er auf ihrem Grundstück auf sie gewartet hatte. Vergeblich. Sie bekam kaum noch Luft. »Ich … ich wusste nicht …« Sie sprach nicht weiter.
»Macht nichts – wirklich. Wir waren vorbereitet.« Tamani lächelte.
»Wie … woran ist er gestorben?«
»Er ist nicht wirklich gestorben. Es ist sozusagen das Gegenteil von Sterben.«
»Was bedeutet das?«
Tamani atmete tief ein und wieder aus. Als er Laurel danach ansah, war er ganz der Alte und verbarg seine Trauer. »Ich zeige es dir eines Tages. Du musst es sehen, um es zu verstehen.«
»Können wir nicht …?«
»Nein, heute haben wir keine Zeit mehr«, unterbrach er sie mit einem Anflug von Strenge. »Komm jetzt – ich bringe dich zurück, sonst darf ich dich vielleicht nicht
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