Elfenliebe
Moment verfinsterte sich ihr Blick. Dann kam die Erinnerung zurück und sie lächelte. »Laurel. Nun schau sich das einer an, du hast dich kaum verändert.«
Laurel lächelte zurück, doch ihre Miene wurde finster, als Tamanis Mutter den Kopf neigte und sich tief verbeugte.
Tamani hatte wohl gemerkt, wie Laurel sich verkrampfte, denn er drückte die Hand seiner Mutter und sagte: »Laurel hat heute schon genug Formalitäten aushalten müssen. In diesem Haus sollte sie ganz sie selbst sein dürfen.«
»Umso besser.« Tamanis Mutter kam lächelnd auf Laurel zu, nahm ihr Gesicht, wie zuvor das ihres Sohnes, in die Hände und küsste ihr beide Wangen.
»Herzlich willkommen.«
Laurel kamen die Tränen. So herzlich hatte sie in Avalon bisher niemand begrüßt – außer Tamani. Sofort vermisste sie ihre eigene Mutter. »Danke schön«, sagte sie zaghaft.
»Komm rein, komm rein – kein Grund, noch länger in der Tür stehen zu bleiben.« Tamanis Mutter scheuchte die beiden ins Haus. »Und da wir dabei sind, auf Formalitäten zu verzichten – nenn mich einfach Rhoslyn.«
Fünf
I m Haus sah es ähnlich aus wie im Wohnbereich der Akademie – nur schlichter. An den Dachsparren hingen Butterblumen, die besonders behandelt waren, damit sie abends glühten – mit Eschenrinde und Lavendelessenz, wie Laurel mittlerweile gelernt hatte. In der leichten Brise, die durch die sechs offenen Fenster wehte, schwangen sie sanft hin und her. Die Vorhänge und die Bezüge auf den Stühlen waren aus einer Art Baumwolle statt wie in der Akademie aus Seide, und der Fußboden war aus Holz. Laurel trat sich sorgfältig die Füße auf der dicken Matte am Eingang ab. An den Wänden hingen Aquarelle in schräg angeschnittenen Bilderrahmen.
»Sind die schön!«, sagte Laurel und trat näher an eins der Bilder heran, auf dem ein Blumenbeet zu sehen war – einzelne Knospen auf langen Stielen, die kurz vor der Blüte standen.
»Danke«, sagte Rhoslyn. »Seit ich nicht mehr arbeite, habe ich angefangen zu malen – und es macht mir viel Spaß.«
Laurel betrachtete ein weiteres Bild, ein Porträt von Tamani. Sie schmunzelte darüber, wie perfekt Rhoslyn seine grüblerischen Züge getroffen hatte. Sein Blick war
ernst und auf etwas außerhalb des Bildes gerichtet. »Du malst sehr gut.«
»Unsinn – ich benutze nur aussortierte Restposten der Sommerelfen, zum Zeitvertreib. Außerdem kann man gar nichts falsch machen – bei einem so hübschen Modell wie unserem Tamani«, erwiderte sie und legte dabei ihren Arm um seine Taille.
Laurel betrachtete die beiden. Rhoslyn, die kleiner als Laurel war, blickte stolz auf Tamani, der das Elfenkind auf einer Hüfte balancierte, während es sich an seine Schultern klammerte. Für einen Moment war Laurel enttäuscht, weil sie merkte, dass er ein Leben hatte, in dem sie nicht vorkam, doch sofort wies sie sich selbst zurecht. Schließlich kam auch er im größeren Teil ihres Lebens nicht vor. Also war es egoistisch, sich mehr von ihm zu wünschen, als sie selbst willens oder in der Lage war zu geben. Sie grinste Tamani an und schob ihre düsteren Gedanken beiseite.
»Ist das deine Schwester?« Laurel zeigte auf das Elfenkind.
»Oh nein«, sagte Tamani, und Rhoslyn lachte.
»In meinem Alter? Himmel und Erde – nein. Tam ist mein Jüngster und schon für ihn war ich ein bisschen zu alt.«
»Das ist Rowen.« Tamani piekste dem kleinen Mädchen in die Rippen. »Ihre Mutter ist meine Schwester.«
»Dann ist sie deine Nichte.«
Tamani zuckte die Achseln. »Wir kennen keine Verwandtschaftsbezeichnungen — außer Vater, Mutter, Bruder und Schwester. Darüber hinaus gehören wir alle zusammen
und helfen uns mit den Kindern gegenseitig.« Als er die kleine Elfe kitzelte, quietschte sie vor Vergnügen. »Unsere Rowen hier bekommt eine Extraportion Aufmerksamkeit, weil sie uns näher ist als andere Keimlinge, aber davon abgesehen sind wir alle eine Familie.«
»Oh.« Das Konzept gefiel Laurel – und auch wieder nicht. Das konnte lustig sein – eine ganze Gesellschaft, die sich als deine Familie betrachtete. Aber sie würde die enge Verbindung zu ihrer zugegebenermaßen nicht sehr großen Familie doch vermissen.
Laurel blinzelte überrascht, als sie auf Rowens Schulter ein Tier entdeckte, das aussah wie ein violettes Eichhörnchen mit pinkfarbenen Schmetterlingsflügeln. Sie war sicher, dass es wenige Augenblicke zuvor noch nicht da gehockt hatte. Rowen wisperte ihm etwas zu und lachte leise – wie über
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