Elfenliebe
Stimmengewirr wurde durch die vielen Gewächse nur leicht gedämpft. Rund hundert Elfen wuselten hier herum. Sie hatten sich vor einzelnen Pflanzkästen versammelt oder standen in Grüppchen zusammen und redeten.
Aurora hatte ihr erklärt, dass Lehrlinge zwischen fünfzehn und vierzig Jahre alt sein konnten – je nach Talent und Lerneifer. Laurel erkannte so gut wie niemanden wieder – vielleicht das eine oder andere Gesicht aus dem Speisesaal. Damit war sie deutlich im Nachteil, denn sie war sicher, dass die meisten sie von früher kannten – vielmehr jemanden, an den sie selbst sich nicht mehr erinnerte.
Als Laurel wie angewurzelt mit nackten Füßen auf dem klammen Steinfußboden stehen blieb, winkte Katya einer Elfengruppe zu, die sich um eine Art Granatapfelbaum versammelt hatte. »Es wird noch ein paar Minuten dauern, bis die Lehrer kommen«, sagte sie. »Wenn du nichts dagegen hast, will ich vorher noch kurz nach meinem Birnbaum schauen.«
Laurel schüttelte den Kopf. Was sollte ich dagegen haben? Ich wüsste nicht, was ich hier sonst tun könnte.
Katya ging zu einem Pflanzkasten mit einem Laubbäumchen darin und zog ein Notizbuch aus der Tasche.
Birne, wiederholte Laurel automatisch, Heilpflanze, neutralisiert die meisten Gifte. Der Saft ihrer Blüten schützt vor Austrocknung. »Was machst du damit?«, fragte sie.
»Ich versuche, ihn schneller wachsen zu lassen.« Katya drückte verschiedene Punkte auf dem Stamm des jungen Schösslings. »Der Trank gehört zur Grundausbildung, aber ich habe den Bogen noch nicht ganz raus.« Sie griff nach einer Phiole mit einer dunkelgrünen Flüssigkeit und hielt sie gegen die Sonne. »Wenn du etwas gegen kleine Wehwehchen brauchst, bin ich die Mixerin.«
Laurel blinzelte verwirrt, als Katya das so freimütig dahersagte. Tamani hatte ihr erklärt, nur Frühlingselfen benutzten diesen Spitznamen – außerdem war er wohl nicht sehr nett. Katya dachte offenbar anders darüber. »Aber bereits vorhandene Vorgänge etwas zu beschleunigen, bereitet mir Kopfzerbrechen«, sagte sie noch, ohne Laurels Reaktion zu bemerken.
Laurel schaute sich um. Einige Elfen begegneten ihrem Blick, manche wendeten sich ab, andere lächelten ihr zu – und nur wenige starrten sie unverwandt an, bis Laurel ihrerseits den Blick weiterwandern ließ. Als sie die violetten Augen einer großen Elfe mit glattem dunklem Pony streifte, fühlte sie sich von ihren wütenden Blicken regelrecht aufgespießt. Die Elfe warf stolz ihre langen Haare über die Schulter und drehte Laurel betont den Rücken zu, statt einfach nur wegzusehen.
»Hey, Katya«, flüsterte Laurel. »Wer ist das?«
»Wer?«
»Da drüben. Lange dunkle Haare. Violette Augen und Haarwurzeln.«
Katya schaute auf die andere Seite des Raums. »Ach so – das ist Mara. Hat sie dich merkwürdig angeguckt? Ignoriere sie einfach. Sie hat was gegen dich.«
»Gegen mich?« Laurel schrie fast. »Sie kennt mich nicht mal!«
Katya biss sich auf die Lippe und zögerte einen Moment. »Hör zu«, sagte sie dann ruhig. »Niemand hier möchte darüber reden, wie viel du vergessen hast. Wir üben alle Erinnerungszauber«, fügte sie schnell hinzu, bevor Laurel sie unterbrechen konnte. »Das lernen wir
schon als Anfänger. Meinen ersten habe ich mit zehn gemacht. Aber die sind nur für Menschen und Orks – also für Tiere. Bei Elfen wirkt er anders.«
»Ist das so ähnlich wie mit den Lockungen, gegen die wir immun sind?«
»So kann man das nicht sagen. Wenn Elfen immun gegen Herbstzauber wären, könnten wir ihn nicht zu unserem eigenen Wohl nutzen. Aber Mischungen, die für Tiere gedacht sind, wirken auf Pflanzen anders – und niemand, der sie noch alle beisammenhat, würde einen Zaubertrank herstellen, um das Gedächtnis einer anderen Elfe auszulöschen, oder? Natürlich haben Herbstelfen früher auch Elfenzauber studiert – lange bevor ich gekeimt bin. Aber da gab es eine, die … «, Katya flüsterte jetzt beinahe, »… die zu weit gegangen ist. Deshalb wird heute strengstens davon abgeraten. Du brauchst eine Sondergenehmigung, um auch nur Bücher darüber lesen zu dürfen. Außerdem bist du ein besonderer Fall. Sie wollten nicht, dass du irgendetwas an die Menschen verraten konntest – auch nicht aus Versehen. Aber jetzt, als Elfe, die sich an nichts erinnert – beziehungsweise offen gesagt, die einem Zauber unterliegt, den wir gar nicht mehr lernen dürfen –, bist du quasi ein wandelndes Tabu. Das soll aber keine Beleidigung
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