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Elfenliebe

Elfenliebe

Titel: Elfenliebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aprilynne Pike
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zufolge konnten wir damals noch nicht sprechen. Aber es gab einen Elfen, den allerersten Winterelfen, der mächtiger war als alle anderen vor und nach ihm. Neben seiner Macht besaß er ungeheure Weisheit. Als er fühlte, dass sein Ende nahte, wollte er sein Wissen weitergeben. Und so kam er, anstatt zu warten, bis er verwelkte, auf diesen Hügel hier und betete zu Gaia, der Mutter aller Natur, und erklärte, er wolle sein Leben aufgeben, wenn sie sein Bewusstsein in Form eines Baumes bewahren würde.«
    »Heißt das, er … ist … dieser Baum?«, fragte Laurel und ging noch einen Schritt auf den knorrigen Stamm zu.
    Tamani nickte. »Er ist wirklich der ursprüngliche Baum. Andere Elfen konnten mit ihren Fragen und Problemen hierherkommen. Und wenn sie genau zuhörten – immer wenn der Wind blies –, konnten sie das
Rascheln der Blätter hören, mit dem er sein Wissen weitergab. Die Jahre vergingen und bald brachten die Vögel den Elfen das Sprechen bei und…«
    »Die Vögel?«
    »Ja. Die Vögel waren die Ersten. Die Elfen hörten, wie sie sangen und Laute von sich gaben – so lernten wir, die Stimme zu gebrauchen.«
    »Und was geschah dann?«
    »Unglücklicherweise vergaßen die Elfen, als sie zu reden und singen anfingen, dem Rauschen der Blätter zuzuhören. Und lange Zeit war der Weltenbaum in Avalon ein Baum wie jeder andere. Dann wurde Efreisone König. Efreisone war ebenfalls ein Gelehrter und er fand in uralten Schriften Teile der Sage vom Weltenbaum. Nachdem er die Geschichte rekonstruiert hatte, wollte er den Weltenbaum unbedingt wiederbeleben und sich sein Wissen zunutze machen. Er verbrachte Stunden über Stunden im Schatten des Baumes, sorgte für ihn und erweckte ihn aus seiner Untätigkeit. Währenddessen hörte er zu seiner Überraschung allmählich die Worte, die der Baum verkündete. Von ihm erfuhr er die Geschichten aller bisherigen Generationen und jeden Abend schrieb er sie zu Hause auf und erzählte sie seinen Untertanen. Und als er spürte, dass seine Zeit nahte, beschloss er, in den Baum einzugehen.«
    »Was meinst du damit?«
    Tamani zögerte. »Er … pfropfte sich selbst als Ast auf diesen Baum auf. Er verwuchs mit ihm und wurde ein Teil von ihm.«
    Laurel versuchte, sich das vorzustellen. Es war grotesk
– und faszinierend zugleich. »Und warum hat er das getan?«
    »Elfen, die Teil des Weltenbaumes werden, überlassen ihm ihr Bewusstsein. Die Weisheit Tausender Elfen lebt in diesem Baum.« Er machte eine Pause. »Man nennt sie die Schweigsamen.«
    Laurels Miene spiegelte wider, was sie in diesem Moment begriff, und sie schnappte kaum hörbar nach Luft. »Dein Vater hat es auch getan. Auch er ist Teil des Baumes. «
    Tamani nickte.
    Laurel trat einen Schritt zurück, weil sie sich plötzlich wie ein Eindringling vorkam. Doch nach einem kurzen Moment streckte sie ihre Hand aus und berührte vorsichtig den Stamm. Yeardley hatte ihr beigebracht, mit äußerstem Gefühl in den Fingerspitzen das Wesen einer Pflanze zu erspüren – endlich mal eine Lektion, die sie mit Leichtigkeit gelernt hatte. Sie schloss die Augen, legte die Hände an die Rinde und spürte dem Wesen des Baumes nach. Was sie jetzt erlebte, war vollkommen anders als alles, was sie bisher in Pflanzen gefühlt hatte. Das Leben summte nicht sanft unter ihren Händen – es toste wie ein reißender Fluss und schlug Wellen wie ein mächtiger Tsunami. Sie vergaß beinahe zu atmen, als eine Art Lied in ihre Hand strömte, den Arm hinauf, bis es sie von Kopf bis Fuß erfüllte. Sie drehte sich mit großen Augen zu Tamani um. »Und so wird er ewig leben.«
    »Ja. Aber unerreichbar für uns – als ob er gestorben wäre. Ich … ich vermisse ihn.«

    Laurel zog ihre Hand von der Baumrinde zurück und ließ sie in Tamanis gleiten. »Wie oft machen Elfen das?«
    »Nicht oft. Es bedeutet Opfer. Du musst in den Baum eingehen, solange du noch die Kraft für das Verfahren hast. Mein Vater war nur hundertsechzig Jahre alt, er hätte noch gut dreißig, vierzig Jahre leben können, aber er fühlte, wie seine Kräfte nachließen, und wusste, dass er schnell handeln musste.« Er lachte düster. »Das war das einzige Mal, dass ich meine Eltern miteinander streiten hörte.«
    Nach einer kurzen Pause fuhr er traurig fort. »Wenn du in den Baum eingehst, musst du allein herkommen – deshalb weiß ich nicht, welchen Teil sich mein Vater ausgesucht hat. Aber manchmal könnte ich schwören, seine Gesichtszüge auf dem Zweig dort zu sehen.« Tamani

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