Elfenliebe
Aber er sagt, ich bin auf dem richtigen Weg.« Sie drehte sich wieder zu Tamani. »Er sagt, obwohl ich mich an nichts erinnern kann, sieht er, dass ich vieles wieder erlerne. Und dass ich ungewöhnlich schnell aufhole. Ich hoffe, er hat recht«, murmelte sie. »Und du? Dein Leben ist bestimmt aufregender als meins im Augenblick.«
»Eigentlich gar nicht. Derzeit ist es sehr ruhig am Tor. Zu ruhig.« Tamani saß mit Blick auf den Weltenbaum im Gras – er hatte die Knie an die Brust gezogen und die Arme um die Beine geschlungen. »Ich war in letzter Zeit viel auf Erkundungstour.«
»Was meinst du mit – Erkundung?«
Er sah sie kurz an, bevor sein Blick wieder zurück zum Baum wanderte. »Ich entferne mich vom Tor, um einen besseren Überblick über das Grundstück zu gewinnen. « Er schüttelte den Kopf. »Wir haben seit Wochen keinen einzigen Ork gesehen. Und irgendwie glaube ich nicht, dass sie plötzlich den Plan, Avalon zu erobern, aufgegeben haben.« Er lachte nervös. Dann sprach er nüchtern weiter. »Ich suche nach dem Grund dafür, kann aber nicht viel tun. Ich bin kein Mensch – in jener Welt käme ich nicht klar. Also komme ich nicht an alle Informationen heran, die ich brauche. Irgendetwas fehlt. Das spüre ich.« Dann zuckte er die Achseln. »Aber ich weiß einfach nicht, was es ist und wo es zu finden wäre.«
Laurel blickte zum Baum. »Warum fragst du nicht die Schweigsamen?«
»So funktioniert das nicht. Der Baum ist nicht allwissend – und erst recht kein Wahrsager. Er birgt das gesammelte Wissen aus vielen tausend Jahren, aber jenseits von Avalon kennt er nichts.« Er schüttelte den Kopf. »Nein, selbst die Schweigsamen können mir dabei nicht helfen. Das muss ich allein schaffen.«
Ein paar Minuten lagen sie ausgestreckt da und genossen die Sonnenwärme. »Tam?«, sagte Laurel zögernd.
»Hm?« Tamani hatte die Augen geschlossen.
»Hast du …« Laurel zögerte noch immer. »Hast du es manchmal satt, ein Frühlingself zu sein?«
Er riss die Augen auf, um sie sogleich wieder zu schließen. »Wieso?«
Sie suchte nach einem Weg, ihn zu fragen, ohne ihn
zu beleidigen. »Alle denken, Frühlingselfen sind nicht so gut wie alle anderen. Ihr müsst euch verbeugen, ihr müsst dienen, du musst hinter mir hergehen … Das ist doch ungerecht.«
Tamani schwieg eine Weile und dachte nach. Gedankenverloren leckte er über die Unterlippe. »Hast du es manchmal satt, dass die Leute denken, du seiest ein Mensch?«, fragte er schließlich zurück.
Laurel schüttelte den Kopf.
»Und warum nicht?«
Sie zuckte mit den Achseln. »Ich sehe aus wie ein Mensch, das passt schon.«
»Nein, das ist die logische Erklärung dafür, warum die Leute denken, du seiest ein Mensch. Ich will wissen, warum die Frage dich nicht stört.«
»Weil immer alle gedacht haben, ich sei ein Mensch – ich habe mich daran gewöhnt«, antwortete sie – und erst als sie ihre eigenen Worte hörte, begriff sie, dass sie in seine Falle getappt war.
Er grinste. »Siehst du? Mir geht es genauso. Ich bin immer ein Frühlingself gewesen und habe mich immer als solcher verhalten. Du könntest mich auch fragen, ob ich es satthabe zu leben. Dies ist mein Leben.«
»Aber merkst du nicht irgendwo tief in deinem Inneren, dass es falsch ist?«
»Warum soll das falsch sein?«
»Weil du eine Person bist – so wie jeder andere. Warum sollte es deinen Status in der Gesellschaft bestimmen, welche Art von Elf du bist?«
»Ich glaube, die Art, wie Menschen den gesellschaftlichen
Status definieren, ist mindestens genauso empörend. Wahrscheinlich noch mehr.«
»Wieso?«
»Ärzte, Anwälte … was meinst du, warum die so geachtet werden?«
»Weil sie gebildet sind. Und Ärzte retten Menschenleben.«
»Deshalb verdienen sie mehr und nehmen in der Gesellschaft einen höheren Rang ein, stimmt’s?«
Laurel nickte.
»Wo liegt da der Unterschied? Herbstelfen sind gebildeter und auch sie retten unser Leben. Winterelfen sogar noch mehr, sie bewahren Avalon vor Überfällen von außen, sie bewachen unsere Tore und sorgen dafür, dass wir von den Menschen nicht entdeckt werden. Warum sollen sie dann nicht mehr verehrt werden?«
»Aber es ist doch der reinste Zufall! Niemand sucht sich aus, ein Frühlingself zu sein.«
»Das vielleicht nicht, aber du entscheidest dich dafür, so hart zu arbeiten. Alle Herbstelfen tun das. Das ist nicht so, als ob du herumsäßest und ab und zu mal einen Zaubertrank braust. Du hast mir erzählt, wie viel du
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