Elfenliebe
dich, sobald du mit dem hier durch bist. Glaube mir«, fuhr er fort, »weniger hätte ich wirklich nicht verantworten können.« Er konsultierte einen Zettel, den er aus einer Umhängetasche gezogen hatte. »Eins unserer Lehrmädchen, was du unter normalen Umständen auch wärest«, sagte er und sah zu ihr auf, »aus der entsprechenden Klasse wird deine Tutorin sein. Sie steht dir
tagsüber zur Verfügung. Es wird ihr nicht schwerfallen, dir die grundlegenden Dinge zu erklären – mach also hinreichend Gebrauch davon. Wir hoffen, dass du nicht mehr als zwei Wochen brauchst, um all das wieder zu erlernen, was du vergessen hast, seit du uns verlassen musstest.«
Laurel stand mit geballten Fäusten da und wäre am liebsten im Boden versunken.
»Sie heißt Katya«, fuhr Yeardley fort, ohne Laurel zu beachten. »Sie wird bald kommen und sich selbst vorstellen. Lass dich nur nicht durch ihre Redseligkeit vom Lernen abhalten.«
Laurel nickte steif und konnte ihre Augen nicht von dem Bücherstapel losreißen.
»Ich überlasse dich jetzt deiner Lektüre«, sagte der Professor und drehte sich auf den nackten Fersen um. »Wenn du mit den Büchern durch bist, können wir mit dem Unterricht beginnen.« An der Tür hielt er noch einmal an. »Benachrichtige mich, sobald du fertig bist. Aber bemühe dich nicht, bevor du nicht jedes einzelne Buch von vorne bis hinten gelesen hast – das hat gar keinen Zweck.« Ohne sich zu verabschieden, trat er hinaus auf den Flur und zog energisch die Tür hinter sich zu.
Laurel atmete tief durch, ging zum Schreibtisch und starrte auf die Buchrücken der ehrwürdig wirkenden Bände: Grundlagen der Kräuterkunde , Entstehung der Zaubertränke , Die Enzyklopädie der Verteidigungskräuter sowie Anatomie der Orks . Beim letzten Titel zog sie eine Grimasse.
Eigentlich las sie gern, aber diese Bücher waren keine Jugendromane. Sie blickte hinüber zum Panoramafenster – im Westen ging bereits die Sonne unter.
Laurel stöhnte. So hatte sie sich diesen Tag wahrhaftig nicht vorgestellt.
Drei
L aurel saß im Schneidersitz auf dem Bett und schnitt mit einer Schere behelfsmäßige Merkkärtchen aus Kartonblättern zurecht. Sie hatte am Vortag nur eine Stunde lang gelesen, als ihr klar wurde, dass die Situation förmlich nach Karteikarten schrie. Und nach Textmarkern. Ein Jahr Biologieunterricht mit David hatte sie anscheinend in eine neurotisch methodisch vorgehende Schülerin verwandelt. Doch schon am nächsten Morgen stellte sie bestürzt fest, dass das »Personal« – wie jeder die leise sprechenden, einfach gekleideten Diener nannte, die durch die Akademie huschten – keine Ahnung hatte, was Merkkärtchen waren. Immerhin kannten sie Scheren, also würde Laurel sich die Karteikarten selbst zurechtschneiden. Die Textmarker waren allerdings ein hoffnungsloser Fall.
Auf ein leises Klopfen rief Laurel nur: »Herein!« Sie hatte Angst, beim Aufstehen die kleinen Karten überall zu verstreuen.
Die Tür ging auf und ein blonder Schopf schaute um die Ecke. »Laurel?«
Laurel hatte längst aufgegeben, jemanden wiedererkennen zu wollen, und so nickte sie nur und wartete darauf, dass die andere sich vorstellte.
Unter dem koboldhaften Haarschnitt breitete sich ein strahlendes Lächeln aus, das Laurel automatisch erwiderte. Wie angenehm, dass jemand sie einfach direkt anlächelte! Das Essen am Abend zuvor war eine einzige Katastrophe gewesen. Laurel war gebeten worden, gegen sieben zum Abendessen herunterzukommen. Eine Elfe zeigte ihr den Weg über die Treppe in den Speisesaal, und Laurel folgte ihr – in ihrem Sommerkleid, mit nackten Füßen und Pferdeschwanz. Als sie das Wort Speisesaal anstatt Cafeteria hörte, hätte sie eigentlich ahnen können, was sie erwartete. In dem Augenblick, als sie den Saal betrat, wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Alle saßen in ordentlichen Hemden und Seidenhosen oder bodenlangen Röcken und Kleidern da – es war praktisch ein Festakt. Und das Schlimmste war, dass Aurora sie ganz nach vorne zerrte, damit sämtliche Herbstelfen sie willkommen heißen konnten. Hunderte von Herbstelfen sahen sie an.
Merke: Zieh dich zum Abendessen passend an.
Doch das war Schnee von gestern, jetzt begegnete ihr ein echtes Lächeln.
»Komm rein!« Laurel war egal, wer die Elfe war oder was sie wollte – Hauptsache, sie war nett zu ihr. Und gab ihr einen Grund für eine Pause.
»Ich bin Katya«, sagte die Elfe.
»Laurel«, antwortete Laurel automatisch.
»Ja klar,
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