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Elfenlied

Elfenlied

Titel: Elfenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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schmaler. »Du hältst dich wohl für witzig, was? Bilde dir ja nichts ein! Ich habe Flöhe in meinem Pelz, die klüger sind als du! Wir sind zu klein, um uns in Drachen zu verwandeln! Woher willst du all das Fleisch und die Knochen nehmen? Denkst du, weil du Emerelle ein paar Mal beim Zaubern zusehen durftest, seiest du eine Meisterin? Ganz abgesehen davon sind Drachen seit Jahrhunderten ausgestorben, und es gäbe wohl kaum eine Möglichkeit, mehr Aufsehen zu erregen, als in Gestalt eines Drachen umherzustreifen. «
    »Dann verwandele ich mich in einen kleinen Drachen!«, entgegnete ich streitlustig.
    »Und was dann? Hoffst du vielleicht darauf, dass diejenigen, die dir an den Kragen wollen, sich totlachen?«
    »Warum glaubst du immer, dass uns alle an den Kragen wollen?«, entgegnete ich wütend. »Das ist doch verrückt! So ist die Welt nicht.«
    Er ließ das Bambusrohr sinken und lächelte mitfühlend. So hatte ich ihn noch nie lächeln gesehen. Zugleich wirkte er traurig.
    »Ach, Kind … Finde dich mit dem Gedanken ab, dass es leider so ist. Ja, uns wollen immer alle an den Kragen. Wie war es denn am Elfenhof? Hattest du viele Freunde?«
    Ich antwortete nicht.
    »Dachte ich mir. Und glaubst du, Emerelle war wirklich deine Freundin? Sie wollte etwas von dir, auch wenn ich nicht ahne, was. Das ist der einzige Grund, warum unser Volk noch existiert. Wir Lutin haben ein paar Dinge zu verkaufen, die es anderswo nicht gibt. Unser größter Schatz ist etwas Nichtgreifbares, etwas, das man nicht in eisenbeschlagenen Kisten wegschließen oder heimlich in der Wildnis vergraben kann, um es zu schützen. Es ist eine Idee. In ganz Albenmark hält man uns für unfehlbare Pfadfinder im Netz der goldenen Wege. Deshalb hast du es so schwer bei uns. Du erinnerst alle an den Verrat deiner Mutter. Daran, wie sie unseren Schatz verschleudert hat, eine Lutin aus unserem Klan! Sesha, die bevorzugte Pfadfinderin Emerelles. So viel sie uns einst brachte, so sehr hat sie uns zuletzt geschadet.«
    Nie zuvor hatte bis dahin jemand so offen über meine Mutter gesprochen. »Aber was hat sie denn getan? Sie war immer gut zu mir.«
    »Du weißt um die heimtückischste Gefahr der Albenpfade? «
    »Die Yingiz?«, fragte ich einfältig.
    Er schüttelte verärgert den Kopf. Er spürte, dass ich mich um die Wahrheit drückte. Das hatte ich immer getan. Ich hatte mir nicht die Frage gestellt, warum ich mehr als achtzig Jahre nach dem Tod meines Vaters gerade einmal sechs Jahre alt war.
    »Ich glaube, deine Mutter war auf der Flucht«, sagte Gromjan. »Anders kann ich es mir nicht erklären. Sie war eine Meisterzauberin. Eine wie sie wird unserem Volk nur einmal in einem Jahrhundert geboren. Deshalb war sie auch die Auserwählte Emerelles. Und ich hoffe, du trägst ihre Gabe in deinem Blut. Deshalb bist du meine Auserwählte, und ich beschütze dich. Doch kommen wir darauf zurück, was sie uns angetan hat. Die Yingiz sind schrecklich. Sie töten jeden, der die goldenen Pfade verlässt. Aber wer durch einen Albenstern tritt und dann vom Weg abweicht, der ist selbst schuld. Alle wissen um die Gefahren des Nichts. Dort verliert man sein Leben. Für die Dummen tragen wir Lutin keine Verantwortung, wenn wir als Führer anderer im goldenen Netz reisen. Aber es gibt noch eine andere Art, sein Leben zu verlieren. Wer einen Fehler macht, wenn er die magischen Pforten der Albensterne öffnet, der macht nicht allein mit ein paar Schritten eine Reise von Hunderten Meilen. Nein, er springt in die Zukunft. In den paar Herzschlägen, die er auf den Pfaden der Alben wandelt, vergehen Monde, Jahre, vielleicht sogar Jahrhunderte. Wer immer das goldene Netz betritt, der fürchtet sich davor mehr als vor den Yingiz.«
    Ich war damals unglaublich naiv und konnte es nicht ausstehen, dass Gromjan schlecht von meiner Mutter sprach. Also forderte ich ihn unbedacht heraus.
    »Na und«, sagte ich patzig. »Was ist schon dabei? Das soll schlimmer sein, als von den Yingiz gemordet zu werden? Das ist doch lächerlich!«
    So jähzornig und übellaunig mir Gromjan damals vorkam, muss ich rückblickend doch gestehen, dass er seine Launen besser im Griff hatte, als ich angenommen hatte. Sie waren eine Fassade, ein Wall, hinter dem er sich verkroch, um in Ruhe gelassen zu werden. Damals blieb er ganz ruhig, obwohl ich mir wirklich Mühe gab, ihn zu ärgern. Denn wenn er schrie und mich verprügelte, wenn er die Fassung verlor, dann wusste ich, dass er unrecht hatte. Das bildete ich

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