Elfenlied
mir zumindest ein. Ich war halt noch ein Kind.
Gromjan tat mir den Gefallen nicht. »Stell dir vor, du trittst durch eine Pforte aus Licht, machst ein paar Schritte und durchschreitest ein zweites Tor, um eine Reise abzukürzen. Anfangs scheint alles gut zu sein. Es dauert immer eine Zeit, bis man bemerkt, dass etwas nicht stimmt. Wenn man eine Reise macht, dann verlässt man ja seine vertraute Umgebung. Es ist nur natürlich, dass einem alles fremd erscheint. Deshalb merkt man es erst bei seiner Rückkehr …«
Er sah mich an und erwartete offensichtlich, dass ich etwas sagte. Mir war nicht klar, was er meinte. Zu diesem Zeitpunkt war ich in meinem Leben noch nie ein zweites Mal an ein und denselben Ort gekommen. Manchmal verbrachte ich eine gewisse Zeit irgendwo, so wie bei den Kentauren oder in Emerelles Burg. Aber wenn die Reise weiterging, dann führte sie mich stets an neue Orte.
Als ich eine ganze Weile nichts sagte und Gromjans fragenden Blick nur erwiderte, grunzte dieser schließlich ungehalten. »Spiel nicht mit mir, Kind!«
»Das würde ich mir niemals erlauben, Meister.« Ich wusste, dass er es sehr mochte, so angesprochen zu werden. Gewöhnlich bin ich keine Schleimerin, aber er hatte seinen Rohrstock dabei, und ich hatte schon erlebt, wie er ihn einsetzte.
Er sah mich seltsam an. Dann drehte er sich um und ging einfach weiter.
Mir brannte es auf der Zunge, ihn auszufragen, aber ich wagte es nicht.
Wir marschierten bestimmt eine halbe Stunde durch das hohe Gras, bis er endlich weitersprach. »Du weißt es wirklich nicht, nicht wahr?«
»So ist es, Meister. Ehrlich!«
»Lügner fangen ihre Geschichten meistens mit dem Wort ehrlich an. Merk dir das, Kleine. Meide es! Klugen Zuhörern verrätst du dich damit.«
Ich seufzte. »Ja, Meister.« Wie lange wollte er mich denn noch auf die Folter spannen? Ich fühlte mich schon ganz kribbelig vor Unruhe.
»Das Schlimmste, was einem bei einer Reise über die Albenpfade passieren kann, ist, einen Zeitsprung zu machen. Alle, die bei Verstand sind, fürchten das am meisten.«
Ich war unglaublich enttäuscht. Ich hatte mit einer Geschichte über grässliche Ungeheuer gerechnet, die einem die Glieder ausrupften, so wie ich es gelegentlich mit Grashüpfern tat. Ich war eben jung.
Inzwischen habe ich die Schrecken erlebt, von denen Gromjan sprach, und ich wünschte mir, ich wäre nur Ungeheuern begegnet.
Er war stehen geblieben und stocherte mit seinem Rohrstock im Erdreich herum.
»Merkst du was?«
Ich hatte immer noch auf eine bessere Geschichte gehofft. Enttäuscht, wie ich war, fühlte ich mich sogar noch kribbeliger als zuvor.
»Ich bin wohl zu dumm, deine Geschichte zu verstehen. Und ich fühle mich, als stünde ich mitten in einem Ameisenhaufen. « Mich über längere Zeit diplomatisch zu verhalten, das habe ich nie in meinem Leben geschafft. Ich rechnete mit einem Schlag auf meine Ohren und duckte mich schon ein wenig, doch das Einzige, was mich traf, war Gromjans Gelächter.
»Du stehst auf einem Albenpfad und spürst seine Kraft. Wenigstens das! Hättest du kein Kribbeln gespürt, dann wärst du ohne die Gabe geboren worden, Magie zu wirken. Was mich bei deinen Eltern allerdings sehr gewundert hätte.«
Ich war versucht, ihm irgendeine kleine Gemeinheit an den Hals zu hexen. Vielleicht stinkende Füße.
»Wütend?«
Ich antwortete nicht darauf.
»Du wirst jetzt lernen, wie man sich in einen Hasen verwandelt. Stell dir einen Hasen vor, so genau, wie du nur kannst.«
Er trat ein ganzes Stück zurück und behielt mich dabei aufmerksam im Auge.
Nichts geschah. Manchmal muss man ein Wort der Macht sprechen, um die Kräfte der Magie zu lenken.
»Wann wirst du mir sagen, was ich als Nächstes tun soll, Meister?« Ich sagte das letzte Wort provozierend gedehnt.
Gromjans Schnauzhaare zuckten. Aber er überging meine Frechheit. »Du weißt alles, was notwendig ist. Streng dich an! Stell dir einen Hasen vor. Greife nach der Magie dieses Ortes, und dann verwandle dich.«
Meine Trotzigkeit war verflogen. »Aber wie fange ich es an? Ich …«
»Ich gehe jetzt. Der Fußmarsch hat mich müde gemacht. Ich werde jetzt zurück zur Herde gehen und ein Schläfchen halten. Und dir rate ich, dich dort nicht blicken zu lassen, wenn du kein Hase bist. Jetzt gib mir dein Hemd.«
»Aber du musst mir doch erklären …«
»Gar nichts muss ich! Ich bin dein Zuchtmeister. Und Meister lassen sich von ihren Schülern nicht vorschreiben, was sie zu tun haben.
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