Elfenlied
nichts änderte sich. Mira war nett zu mir, meistens. Aber das lag wahrscheinlich vor allem an meinem roten Kleid. Obwohl sie nicht gerade pfleglich damit umging, sah es noch aus wie am ersten Tag. Es schien, als bringe ein Zauber es über Nacht wieder in Form und lasse alle Flecken verschwinden, selbst wenn sie im Kleid zum Echsendungsammeln gegangen war.
Die anderen Lutin ignorierten mich oder sie bedachten mich mit offenem Missfallen. Zita hatte Einfluss. Die Anzahl derjenigen, die mir feindselig nachblickten, wurde mehr, und manchmal konnte ich sie nachts am Lagerfeuer im Kreis der Echsen laut streiten hören. Und wenn dabei mein Name fiel, so wurde er mit Verachtung und Zorn genannt. Oft sprach man auch von meiner Mutter, die sie genauso hassten. Jetzt begriff ich, warum sie niemals hierher zurückgekehrt war. Oder ich glaubte zu begreifen, denn wie sich bald herausstellen sollte, war die Wahrheit noch weitaus schlimmer, als ich mir auszumalen vermochte.
Von Hasen und Elfen
»Dein rechtes Ohr hängt dir vor dem Auge.«
Das wusste ich selbst, aber ich hütete mich, etwas zu sagen. Widerworte reizten Gromjan nur unnötig, und der Ärger, den ich ins Lager geschleppt hatte, reizte ihn ohnehin schon bis aufs Blut.
Ich konzentrierte mich. Verdammte Hasenohren! Ich war eine Lutin. Woher sollte ich wissen, wie die Hasen es schafften, ihre Schlappohren aufzustellen?
Meister Gromjan ließ das Bambusrohr in seine offene Hand klatschen. Ich zuckte innerlich zusammen. Seit er den Unterricht begonnen hatte, war kein Tag verstrichen, an dem er mir nicht mit dem Bambusrohr das Fell gegerbt hatte. Ich bin selbst heute nicht sicher, ob es ihm einfach Spaß machte, mich zu verprügeln, oder ob ich ihn tatsächlich in dem Maße zur Verzweiflung trieb, wie er immer behauptete.
»Besser so!«, sagte er ernst. »Schon mein Lehrer war der Meinung, dass Furcht der beste Lehrmeister sei.«
Ich fand das nicht. Und ich wünschte, ich hätte jemals Gelegenheit gehabt, das Gegenteil zu beweisen.
»Schau nicht zu mürrisch drein!«, schnauzte er. »Es gibt keinen Hasen in Albenmark, der so eine griesgrämige Grimasse schneiden würde wie du. Was glaubst du, was das hier ist? Ein Spaß?«
Das wäre das Letzte gewesen, was mir eingefallen wäre. Ich musste unwillkürlich schnauben. Ein Spaß! Plötzlich steckte mir ein Kloß im Hals. Der letzte Spaß, den ich mir erlaubt hatte, hatte Bollo das Leben gekostet.
Die Rute schnitt dicht über meinen Ohren durch die Luft. »Wo bist du mit deinen Gedanken? Was glaubst du, warum wir das hier tun?«
»Weil es dir Spaß macht, mich zu schikanieren!«
Ich rechnete mit Prügel, doch stattdessen erntete ich Gelächter. »Du glaubst wohl, du bist der Mittelpunkt Albenmarks. Stell dir vor, ich läge auch lieber in der Hängematte neben meinem Zelt und ließe mich von Zweistoß in den Schlaf schaukeln! Wir Lutin haben nur Feinde auf dieser Welt. Wir müssen uns verbergen können. Und wir müssen Meister auf der Flucht sein. Deshalb gibt es kaum jemanden, der das goldene Netz so gut kennt wie unsere Pfadfinder. Wir nehmen hunderterlei Gestalt an. Wir verschwinden in der Menge. Werden zu Steppenfalken oder Hasen.«
»Und warum bringst du mir nicht etwas Interessanteres bei, als mich in einen dämlichen Hasen zu verwandeln? Warum lerne ich nicht, als Falke über das weite Grasland zu fliegen?«
»Was glaubst du, was passiert, wenn du als Falke einen Fehler machst? Du schaffst es ja nicht einmal, zwei Hasenohren aufrecht zu halten. Wenn dein Flügelschlag aus dem Rhythmus gerät, wenn du mitten im Flug darüber nachzudenken beginnst, was dich wohl hoch oben in der Luft hält – was meinst du, was dann passiert? Dann gibt es eine Lutin weniger. Und auch wenn deine Mutter unserem Volk großen Schaden zugefügt hat, werde ich, verdammt noch mal, darauf achten, dass du dich nicht aus reiner Dummheit umbringst. Jeder, der lernt, seine Gestalt zu verwandeln, fängt mit Hasen an. Das war schon immer so!«
»Warum verwandeln wir uns denn nicht in Drachen? Wenn die anderen uns fürchten, dann müssen wir nicht mehr davonlaufen.«
»Was für ein überaus gescheiter Gedanke!«, sagte er höhnisch. »Was unterscheidet uns denn am meisten von Drachen?«
»Unser Fell …«
»War da noch was?«
Ich wusste, dass er mich vorführen würde und dass es unausweichlich war. Also strengte ich mich erst gar nicht an und entgegnete patzig: »Das mit dem Feuerspucken würde wohl auch schwierig.«
Seine Augen wurden
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