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Elfenlied

Elfenlied

Titel: Elfenlied Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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über Grabhügel gesprochen. Sorbas machte sich Sorgen, weil sein Vater krank war, und er befürchtete, dass bald ein Totenfest anstünde. Was genau das zu bedeuten hatte, begriff ich damals noch nicht. Die Kentauren behandelten uns mit Respekt, denn sie brauchten uns. Eine Abhängigkeit, die wir ihnen übel vergolten haben.
    Noch bevor der letzte Lichtstreif am Horizont verschwunden war, zogen sich die Pferdemänner wieder zurück. Unsere Hornschildechsen aber blieben als schützender Kreis stehen und rührten sich die ganze Nacht nicht von der Stelle.
    Am nächsten Morgen war wieder einmal mein rotes Kleid verschwunden. Gromjan hatte keine Lust, Mira hinterherzujagen. Er gab mir ein merkwürdiges langes Hemd und befahl mir, mit ihm hinaus ins hohe Gras zu gehen. Wie Dolche spürte ich die Blicke der anderen im Rücken. Und ich schämte mich, mit nichts als einem alten Hemd am Körper herumzulaufen. Auch wenn es für Gromjans Verhältnisse ungewöhnlich sauber war.
    Zita saß am Dungfeuer in der Mitte des Lagers. Sie spuckte einen Priem Kautabak aus, als ich an ihr vorübermusste. »Endlich tust du, was getan werden muss, Grom. Lass sie einfach liegen. Sie ist nicht der Mühe wert, ein Loch für sie auszuheben. «
    »Soll dir die Zunge verfaulen«, zischte ich sie an.
    »Du wirst verfaulen.«
    »Nicht zu deinen Lebzeiten!«
    »Ach … Laufe ich in einem Totenhemd herum oder du?«
    »Das … das stimmt nicht!« Ich sah an mir herab.
    »Nicht? Und warum reicht es dir bis fast zu den Knöcheln?«
    »Ganda!«, rief Gromjan scharf. »Trödel nicht!«
    Ich beeilte mich, zu dem alten Lutin aufzuschließen, das böse, meckernde Lachen Zitas im Nacken.
    »Grom . . .«, begann ich atemlos.
    »So nennen mich Freunde. Du nicht! Für dich bin ich von nun an Meister Gromjan.«
    »Gromjan …«
    Er blieb stehen und drehte sich zu mir um.
    »Meister Gromjan«, verbesserte ich mich schnell.
    Er sah mich an, spielte gedankenverloren mit den wenigen verbliebenen Haaren seines Schnauzbarts, sagte aber nichts.
    »Das Totenhemd …«
    »Ja. Was ist damit?«
    »Warum hast du mich in ein Totenhemd gesteckt? Soll ich …« Ich brachte es nicht über die Lippen.
    Gromjan legte den Kopf schief und sah mich verwundert an. Dann rückten seine Brauen zusammen. »Hältst du es für schicklich, in einem kurzen Hemdchen herumzulaufen? Ich nicht! Du bist ziemlich groß für dein Alter. Und …« Er grummelte etwas Unverständliches.
    »Aber warum ein Totenhemd? Wer besitzt denn zu Lebzeiten sein Totenhemd?« Ich sah auf die verwaschenen Blaubeerflecken auf dem Hemd. »Und wie kann man sein Totenhemd schon zu Lebzeiten tragen?«
    Gromjan tat meine Worte mit einem Schulterzucken ab. »Wenn nichts anderes sauber ist. Man sollte da nicht kleingeistig sein. Ich hatte es übrigens auch an, als ich dich bei Emerelle abholte. Wenn ich dir einen Rat geben darf: Hör nicht auf Zita. Ihre Worte sind Gift. Alte Hexe. Ich mache mir auch ernsthaft Sorgen um die Kleinen. Unter der Fuchtel von Zita aufzuwachsen … Aber so sind unsere Gesetze. Sie ist die nächste Verwandte von Elija, Nikodemus und Mira. Ich kann da nichts machen.«
    »Mira sagt, Zita will mich wegmachen .«
    »Ich glaube auch, dass sie es versuchen wird. Deshalb sollten wir uns hier nicht länger die Beine in den Bauch stehen und hinaus ins Grasland gehen. An einen stillen Ort, an dem wir allein sind. Es wird höchste Zeit, dass ich mir einmal ansehe, was du bei den Elfen so gelernt hast.« Er klopfte auf einen dünnen Bambusstock, den er mit einer Schlaufe am obersten Knopf seines Mantels eingehakt hatte. »Und ich rate dir: Enttäusche mich nicht. Ich bin kein sehr geduldiger Lehrmeister.« Mit diesen Worten wandte er sich wieder um und stapfte mir voraus in das unheimliche, hohe Gras.
    Ich hatte von Elija schon gehört, dass Gromjan seine Schüler gern prügelte. Und irgendwie spukten mir Zitas Worte noch im Kopf herum. Mir war bewusst, dass die anderen mich nicht liebten und dass ich eine Prüfung für den Frieden im Klan darstellte. Und ausgerechnet dieser brummelige alte Lutin, der sich einen Spaß daraus machte, mich sein Totenhemd anziehen zu lassen, war mein einziger Verbündeter. Ich war verloren, ganz gleich, was ich tat. Es sei denn, er fand Gefallen daran, dass seine Sachen jetzt immer sauber waren. Würde das reichen, mir das Leben zu retten? Ich sagte kein Wort mehr und folgte ihm.
     
    In den nächsten Wochen war ich so still und duckmäuserisch wie noch nie in meinem Leben. Aber

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