Elfenlied
Schätze zu stehlen. Sie sollten die Lutin im roten Kleid töten! Und als sie sich sicher waren, dass ihnen das geglückt war, setzten sie sich nicht länger dem Beschuss der Armbrüste aus.
Ich wich vor Sturmrufer zurück. Kaum wagte ich, den anderen ins Gesicht zu sehen. Aber ich spürte, dass auch sie die Wahrheit erkannt hatten. Ich war der Quell des Übels, das über Gromjans Herde hereingebrochen war.
Mehr und mehr Lutin versammelten sich um mich. Sie bildeten schweigend einen weiten Kreis. Elija kniete noch immer bei mir. Er hielt Nikodemus im Arm und tröstete ihn. Seine Linke ruhte auf meiner Schulter. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob er mich trösten oder mich zu Boden drücken wollte.
Endlich erschien Gromjan. Er war nackt und kam über den Kamm der Uferböschung. »Sie sind jetzt viele Meilen entfernt. Brecht das Lager ab! Nehmt die Toten mit. Wir werden diesen Ort schnell verlassen.«
Seine Worte zerschlugen den Kreis der schweigenden Lutin. Ohne etwas zu sagen, befolgten sie seinen Befehl. Keine Totenklage war zu hören.
Gromjan holte seinen Nackenstecher, die dreikantige, mörderisch spitze Klinge, die jeder erwachsene Lutin besaß. Er kauerte sich neben Sturmrufer und sprach leise mit der alten Echse. Schließlich erlöste er sie von ihren Qualen.
Der Alte sorgte dafür, dass wir jedes Gefäß, das wir nur finden konnten, mit Wasser füllten. Dann führte er die Herde nach Westen. Einen Tag und eine Nacht wanderten wir ohne Unterlass. Nur die getragenen Melodien der Totenlieder begleiteten uns. Das Land ringsherum schien unsere Gefühle mit seiner Schönheit zu verspotten.
Niemand kreuzte unseren Weg. Am Mittag des zweiten Tages öffnete Gromjan ein Tor und brachte uns über die Albenpfade. Der Weg kam mir lang vor. Wir traten hinaus in ein warmes Land. Gleißendes Licht strahlte am Himmel. Der Boden war mit Geröll bedeckt, zwischen dem nur einzelne, vertrocknete Grasbüschel wuchsen.
Die heiße Luft schien ein Stück entfernt wie flüssiges Glas über dem felsigen Grund zu zerfließen. Jetzt regten sich die ersten Stimmen.
Gromjan stand hoch aufgerichtet auf der Plattform über den Schultern von Zweistoß. Er deutete auf die Einöde. In der Ferne sah man blassblaue Berge. »Wir haben einen Zeitsprung gemacht, als ich euch durch das Nichts führte.« Er ließ die Worte wirken.
Die Kinder der Herde sahen sich erschrocken an. Manche tuschelten leise miteinander.
»Es war notwendig, um unseren Feinden zu entfliehen. Es ist eine Sache, uns über die Albenpfade zu folgen. Begabte Magier könnten dort unsere Spur finden. Aber unserem Weg durch die Zeit zu folgen, ist fast unmöglich. Niemand mag freiwillig ein Stück seines Lebens verschenken. Wir sind nun sicher. Zumindest für eine Weile. Vor uns erstreckt sich das verbrannte Land, der Ort, an dem die Drachen und das Bündnis der Albenkinder ihre letzten Schlachten austrugen. Auf Hunderte Meilen gibt es dort keinen Albenstern, nicht einmal einen Albenpfad. Wir werden in Sicherheit sein. Nun folgt mir!«
Ich band mir einen Schal über die Schnauze, weil die heiße, trockene Luft in meiner Kehle brannte. Ich saß im Nacken von Mondkragen. Mit sanftem Schenkeldruck lenkte ich sie in die Spur von Zweistoß.
Die Hitze und der wiegende Schritt machten mich müde. Bald war ich in einem Zustand zwischen Wachen und Dämmern. Irgendwann muss ich eingeschlafen sein.
Jemand rüttelte sanft an meiner Schulter. »Wach auf!« Es war Elija, der gekommen war. »Alle warten auf dich. Wir haben etwas zu besprechen.«
Augenblicklich spürte ich einen dicken Kloß im Hals. Ich hatte damit gerechnet, seit wir den See verlassen hatten. Es war allzu deutlich, wem sie den Überfall zu verdanken hatten. Sie würden sich meiner entledigen. Auf die eine oder andere Weise.
Meine Glieder waren ganz steif, weil ich in so unnatürlicher Haltung geschlafen hatte, und mein Mund war trocken. Elija half mir, von Mondkragens Rücken zu steigen. Unten angekommen, drückte er mir die Hand.
»Ich werde auf dich aufpassen«, flüsterte er mir zu.
Ich seufzte schwer. Er war noch kein Mann. Er trug noch nicht Häutermesser und Nackenstecher an seinem Gürtel. Aber er wurde von vielen respektiert. Er hatte etwas Besonderes an sich, er konnte begeistern. Schon jetzt zeigte sich etwas von dem, was Jahre später deutlich offenbar wurde: Er war der geborene Anführer.
Seine Worte machten mir neuen Mut, und er blieb an meiner Seite, als wir in den Kreis der Herde traten. Ein
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