Elfenlied
Feuer aus Echsendung brannte.
Gromjan reichte mir einen Lederschlauch mit lauwarmem Wasser. Er wartete, bis ich getrunken hatte. Alle sahen mich an. Ihre Blicke lasteten wie Säcke voller Steine auf mir. Meine Knie wurden weich unter dieser Last.
Elija schien es zu spüren. Wieder drückte er meine Hand.
»Morgen werden wir um unsere Toten trauern«, sagte Gromjan mit müder Stimme. »Aber heute noch müssen wir über unsere Zukunft entscheiden. Ganda ist der Schlüssel zu allem. Sie ist noch ein Kind und zugleich ist sie, rechnet man vom Tag ihrer Geburt an, die Älteste von uns allen. Sie hat uns zurückgegeben, was ihre Mutter uns genommen hat. Und zugleich hat sie das Verhängnis heraufbeschworen, das uns ereilte. Shandral muss durchschaut haben, wie sie ihn getäuscht hat. Was sie falsch gemacht hat, kann ich nicht sagen. Aber für mich steht außer Zweifel, dass er die Kentauren schickte, um die Lutin im roten Elfenkleid töten zu lassen. Wir alle wissen, dass sich Mira Gandas Kleid nahm, ohne zu fragen. Trifft Ganda eine Schuld? Meine Meinung dazu ist fest begründet, doch ich werde eurem Urteil nicht vorgreifen. Ihr alle kennt sie. Seit vielen Wochen lebt sie nun schon in unserer Mitte. Der Spross einer Elfenfürstenfamilie will ihren Tod. Wenn Shandral bemerkt, dass Ganda noch lebt, wird er erneut seine Mörder schicken. Sie bringt uns alle in Gefahr. So müssen wir nun entscheiden, ob wir sie in der Steinwüste aussetzen oder diese Gefahr gemeinsam tragen.«
Ich glaubte zu wissen, was nun kommen würde. Aber ich kannte mein Volk noch nicht. Ich hatte immer gedacht, ich sei trotzig, unvernünftig und dickköpfig. Ganz besonders dann, wenn es darauf ankommt, einen klaren Verstand zu behalten. Aber wie sich zeigte, sind wohl alle Lutin so.
»Wenn ihr sie in der Wüste aussetzt, dann seid ihr mich auch los.« Elija war der Erste, der etwas sagte. Er stand dicht bei mir. Er war aufgeregt. Noch hatte er nicht viel Übung darin, vor einer Menge zu sprechen. »Wir sollten nicht das Opfer zum Täter machen. Sie hat immer ihr Bestes für uns gegeben. Es ist die Ordnung unserer Welt, die falsch ist. Die Tyrannei der Elfen, die Kobolde schon immer für ihre Sklaven gehalten haben. Es ist an der Zeit, ihnen zu zeigen, dass wir mehr sind. Eines Tages wird selbst ihre Königin Emerelle bereuen, dass meine Schwester starb. Ich stehe zu Ganda!«
»Ich wäre ein schlechter Meister, wenn ich sie verlassen würde, bevor sie den Hasenzauber gelernt hat. Das ist das Mindeste, was ein Lutin zuwege bringen sollte. Sogar Nikodemus der Ältere hat es zuletzt gelernt.« Gromjans Worte ließen die meisten schmunzeln und nahmen der ernsten Lage etwas von der Spannung. »Als Lehrer stehe ich in der Pflicht. Ich werde bei ihr bleiben müssen.«
Jeder von ihnen sprach. Manche machten nur eine kurze, witzige Bemerkung. Andere waren in der Stimmung, ihren Gefühlen einfach freien Lauf zu lassen. Sie stritten nicht, und alle hörten einander zu, ohne sich zu unterbrechen. Es war dieser Abend, der eine andere Welt gebar. Und Shandral war schuld daran. So dachten wir damals. Wir hatten ja keine Ahnung.
Die Macht der Worte
Ich muss eingeschlafen sein. Ich betrachte erschöpft die huschenden Schatten tief in den Kristallwänden. Ist dort etwas Beseeltes? Beobachten sie mich? Ich versuche zu schätzen, wie lange ich wohl geschlafen habe. Nichts hier in der Höhle erlaubt, die verstreichende Zeit zu messen. Ich muss länger als nur zwei oder drei Stunden geruht haben. Viel deutlicher höre ich sie graben. Und manchmal vernehme ich jetzt auch Stimmen. Das ist neu! Wie viel Zeit bleibt mir noch?
Die Jahre im verbrannten Land waren eine harte und entbehrungsreiche Zeit. Und doch, wenn ich zurückblicke, waren es meine besten Jahre. Ich wurde vom Mädchen zur jungen Frau. Und Elija wurde vom Freund zum Liebhaber. In ihm brannte ein Feuer, die Flamme des Widerstandes. Er gab unserem Volk seinen Stolz zurück. Und er wagte das Undenkbare. Ich kann rückblickend nicht genau benennen, wann ihn der Ehrgeiz überkam, der Herrschaft der Elfen ein Ende zu setzen. Es war noch, bevor wir das erste Mal miteinander das Lager teilten. Später wurde mir immer wieder schmerzlich bewusst, dass seine wirkliche Liebe der Idee zur Revolte galt. Ihr opferte er alles. Sosehr uns seine Ideale anfangs verbanden, entfremdeten sie mich letztlich von ihm. Aber bis dahin war es noch ein langer Weg.
Im kargen verbrannten Land mit seinen wenigen, wohlverborgenen
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