Elfenlied
ihrem Streben nach Vollkommenheit!
»Willst du mich beim nächsten Fest der Lichter deinem Adel überlassen?«, fragte ich geradeheraus. Es dauerte nicht mehr lange bis zur nächsten Königswahl, und ich wusste, dass es vor allem in Arkadien Widerstand gegen Emerelles Herrschaft gab.
»Wenn ich es nötig hätte, mir ihre Gunst zu erkaufen, sollte ich besser nicht mehr Königin sein«, entgegnete sie ruhig und ohne auf meine zänkische Art einzugehen.
»Warum bin ich hier? Ich werde dir nicht verraten, wo Elija ist!«
»Er ist im verbrannten Land in einem verborgenen Tal. Dort ist er mit all den Kobolden, die er von Shandrals Hof mitgenommen hat, in einer weitläufigen Höhle untergekommen. Es ist kein guter Ort. Ich sah, wie sie den Hang zur Höhle hinaufstiegen. Die Höhle selbst verschließt sich vor dem Blick der Silberschale. Ich war einmal dort, vor vielen Jahrhunderten. Ich weiß, wozu diese Höhlen erschaffen wurden. Ihr solltet euch ein anderes Versteck suchen. Dort brütet Unheil. Kein Elf würde freiwillig dahin gehen.«
Es wäre gelogen, wenn ich behaupten würde, dass diese Worte ihre Wirkung bei mir verfehlt hätten. Ich wusste, dass Elija ins verbrannte Land gegangen war. Wir hatten die Höhle während der Jahre in der Steinwüste entdeckt. Es gab noch einige ähnliche, doch diese war die größte. Magie hatte dort keine Macht. Das hatten auch wir schon herausgefunden.
»Ich möchte mich für die Art entschuldigen, auf die Alvias dich hierher brachte. Es war notwendig. Wenn er dich nicht geholt hätte, dann würdest du sehr bald sterben.«
Sie sprach über meinen Tod mit einer Selbstverständlichkeit, als erzähle sie von etwas, das eigentlich schon geschehen war. Beklommen blickte ich zu der Silberschale auf der niedrigen Säule neben ihrem Thron.
»Ich habe dein Leben mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Der Tod ist dir sehr nahe. Du solltest an meinem Hof bleiben und eine andere Gestalt annehmen. Hier bist du in Sicherheit, denn hier wird deine Feindin nicht nach dir suchen.«
»Es ist Alathaia, nicht wahr?«, fragte ich kleinlaut.
»Ja. Sie schickte den Mörder deiner Mutter. Sie ließ deinen Vater hinrichten. Sie war oben auf dem Turm, den du mit Bollo bestiegen hast. Und sie schickte die Kentauren, nachdem Shandral auf dich aufmerksam geworden war. Dein rotes Kleid hat dich verraten. Er ließ bei meinen Hofschneiderinnen nachfragen, für wen es gefertigt worden sei. Es heißt, Shandral sei ein Schüler Alathaias. Beweisen kann ich es nicht.«
»Du weißt das alles und unternimmst nichts? Sie lässt Untertanen von dir ermorden! Zählt das Leben von Lutin denn gar nichts für euch Elfen?«
»Wärest du hier, wenn es sich so verhielte?« Sie gab sich nicht die Mühe, ihre Enttäuschung gänzlich zu verbergen. »Ich kann nichts gegen sie unternehmen. Noch nicht. In wenigen Jahren werde ich ihre Hilfe brauchen.«
»Aber warum will sie meinen Tod? Was habe ich ihr je getan?«
»Dein Vater und deine Mutter waren in meinem Auftrag in Langollion. Sie waren Spitzel. Sie müssen etwas herausgefunden haben. Ich wollte die beiden beschützen … Nachdem dein Vater ermordet wurde, machte Sesha viele kurze Zeitsprünge bei ihren Reisen durch das goldene Netz. Sie versuchte verzweifelt, Alathaias Häscher abzuschütteln. Ich habe sie dabei verloren. Nur dich konnte ich noch finden. Es tut mir leid.«
Was sie sagte, passte zu dem, was ich mir inzwischen selbst zusammengereimt hatte. Und etwas hatte ich der Königin voraus. Ich wusste, dass meine Mutter etwas mitgenommen hatte. Es war in dem kleinen Holzkästchen gewesen, das sie in ihrer Tasche dicht bei sich getragen hatte. Hatte sie es mir jemals gezeigt? Ich erinnerte mich nicht. Aber Alathaia befürchtete das wohl.
»Wirst du hierbleiben?«, fragte mich Emerelle.
»Bin ich deine Gefangene?«
Sie seufzte. »Komm mit mir, Ganda.« Sie trat zur Silberschale. Dort ließ sie die flache Hand dicht über dem Wasser kreisen. Dann murmelte sie ein Wort der Macht. Ich spitzte die Ohren, aber ich konnte es nicht richtig verstehen.
»Komm«, sagte sie noch einmal.
Ich hätte meiner Neugier nicht nachgeben sollen. Ich wusste ja, was es mit der Silberschale auf sich hatte. Und doch vermochte ich der Verlockung nicht zu widerstehen. Ich stellte mich neben Emerelle, blickte in das Wasser hinab und sah mich in einem Wald. Ich war allein. Ich wirkte gehetzt. Immer wieder sah ich über meine Schulter. Und dann war er über mir. Der Reiter. Ich versuchte mich
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