Elfenlord
Verzögerung würde ihrem Ruf schaden.«
»Wie bedauerlich«, sagte Madame Cardui.
Die weite Kapuze sorgte dafür, dass er ihr Gesicht nicht sehen konnte, aber er spürte, dass sie lächelte, und fühlte einen plötzlichen Schauer. Sie hatte so überzeugend geklungen, als sie ihn angeworben hatte, und ihr Angebot war einfach unwiderstehlich gewesen. Aber von Töten war damals keine Rede gewesen, und vor allem nicht davon,
ihn
zu töten. Er hegte allmählich den Verdacht, dass die alte Hexe heimliche Pläne hatte. Dennoch wagte er, vorsichtig zu fragen: »Können Sie nichts unternehmen?«
»Mein Lieber, ich würde es tun, wenn ich könnte – daswissen Sie doch. Aber ich kann nicht. Mir sind die Hände gebunden. Heutzutage sind wir doch alle angeblich dicke Freunde der grässlichen Nachtelfen.«
Chalkhill war selbst ein grässlicher Nachtelf, aber er ging nicht darauf ein. Im Guten wie im Schlechten, Madame Cardui war jetzt sein Zahlmeister. Wie raffiniert auch immer sie sein mochte, gefährlicher als Hairstreak konnte sie gar nicht sein, und er hatte immerhin jahrelang als Spion für Hairstreak gearbeitet und überlebt. Außerdem wusste er, dass sie, ganz gleich, was sie sagte, ihn kaum ermorden lassen würde, solange er noch ein wertvoller Trumpf für sie blieb. Im Moment war er ihre einzige Trumpfkarte. Niemandem zuvor war es gelungen, sich in die Bruderschaft einschleusen zu lassen.
Er kam zum Schluss, dass das Gerede vom Tod dazu diente, ihn unter Druck zu setzen, damit er sich ein bisschen beeilte, als wäre er nicht schon genügend motiviert. Finsternis wusste, dass Hairstreak oft genug das gleiche Spielchen gespielt hatte. Um das Ganze ein wenig voranzutreiben – und vielleicht sogar die Situation unter seine Kontrolle zu bringen –, fragte er: »Irgendwelche neuen Erkenntnisse?«
Hundert mit Kapuzen bedeckte Köpfe verneinten. »Nur die Bestätigung dessen, was wir schon wissen. Die Bruderschaft plant irgendetwas.« Sie zögerte nur einen kleinen Augenblick, bevor sie fragte: »Haben Sie noch etwas anderes herausgefunden, Mr Chalkhill?«
Einen Augenblick lang überlegte er, ob er es nicht für sich behalten sollte, dann entschied er dagegen. Zu diesem frühen Zeitpunkt in ihrem Spiel war es nötig, dass er sich bei Madame Cardui einschmeichelte, dass er sie davon überzeugte, wie loyal er war. Außerdem war das, was er tatsächlich herausgefunden hatte, ziemlich geringfügig und seine Bedeutung einigermaßen unklar. »Hairstreak sah ganz schön überrascht aus, als ich darum bat, mit Gott sprechen zu dürfen«, sagte er.
»Ah«, sagte Madame Cardui, als hätte er ihr etwas Interessantes mitgeteilt. »Was hat er darauf entgegnet?«
»Er hat es vom Tisch gewischt, als wäre das alles bloß ein Scherz. ›Der einzige Gott weit und breit bin ich‹ oder so was. Aber ich bin sicher, das hat ihn aus dem Konzept gebracht.«
»Und wie lautet Ihre Analyse?«
Chalkhill öffnete seinen Mund und schloss ihn wieder. Hairstreak hatte ihn in den alten Zeiten nie um eine Analyse von irgendetwas gebeten. Offenbar war Madame Cardui eine völlig andere Art von Geheimdienstchef. Sein Blick wanderte von einer Spiegelung zur anderen. In Wirklichkeit hatte er kaum eine Analyse anzubieten. Alles, was er bislang unternommen hatte, war von seiner Gier und seinem Instinkt gesteuert gewesen. Und von vagem Stammtischgerede. Er bezweifelte, ob die Bemalte Dame davon beeindruckt sein würde. »Na ja, offensichtlich ist das ein Code-Name …«
»Ja, natürlich«, unterbrach ihn Madame Cardui ungeduldig, »aber wofür steht er? Eine Person? Ein wichtiger Verbündeter? Ein anderes Land vielleicht? Oder steht er einfach für das, was sie sich da vorgenommen haben – ist das der Name für ihr augenblickliches Projekt?«
Woher soll ich das wissen, du blöde alte Sau?,
dachte Chalkhill. Laut sagte er: »Ich glaube nicht, dass das wichtig ist. Ich –«
»Das ist es mit absoluter Sicherheit, Mr Chalkhill«, unterbrach ihn Madame Cardui erneut. »Meiner Erfahrung nach sind die Leute oft so töricht, Code-Namen zu wählen, die genau auf das deuten, was sie zu verbergen versuchen. Wenn sich zum Beispiel ›Gott‹ auf eine Person beziehen würde, dann könnten wir dafür jemand einsetzen, der Autorität, Macht besitzt. Wenn ›Gott‹ dagegen der Name für ein Projekt ist, dann dürften wir wohl annehmen, dass es etwas Grandioses, Weitreichendes und Umfassendes sein soll.« Ihre Stimme nahm einen stählernen Klang
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