Elfenmeer: Roman (German Edition)
Flottenseite, und sie erkannte, dass er zur Kristallkönigin sah.
»Nein!« Der Korallenfürst zuckte zusammen, und noch ehe Liadan sichs versah, hangelte er sich weiter den Holzpfahlhinauf, unter sich nichts als schäumendes Meer, während er immer noch zur Kristallkönigin starrte.
Liadan blickte zwischen ihm und dem Schiff hin und her. Der Korallenfürst streckte die Hand zu seinem Feind aus, doch als Liadan genauer hinsah, erkannte sie, dass dort drüben, inmitten des Kampfgewirrs, eine Gestalt auf der Bordwand stand. Sie neigte den Oberkörper in ihre Richtung.
»Nein.« Ein Flüstern, das der Wind an ihr Ohr trug. Es war nicht für sie bestimmt, und doch vernahm sie es, hörte den tiefen Schmerz, die Fassungslosigkeit. Ein flaues Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus.
Weshalb konnte sie der Stimme des Korallenfürsten nicht mit Gelassenheit begegnen? Wieso musste sie das Leid in einem einzigen Wort mit einer derartigen Intensität spüren?
Weitere Gedanken verflüchtigten sich, als sie erkannte, wie die Gestalt auf der Kristallkönigin zurücksank und zwischen den Schiffen verschwand.
Verdattert starrte sie dorthin, wo eben noch jemand gestanden hatte, als der Korallenfürst sich plötzlich an ihr vorbeidrängte und an Deck sprang. Mit Schrecken bemerkte sie, wie er wankte und sich sofort an der Bordwand neben sich festhielt. Den Kopf gesenkt starrte er auf die Planken zu seinen Füßen, er stand gebeugt, als drücke ihn eine gewaltige Last nieder. Sein Körper passte sich nicht mehr den Bewegungen des Schiffes an, stattdessen hatte Liadan das Gefühl, dass er jeden Moment zusammenbrechen würde. Er taumelte, einzig sein Griff um die Bordwand hielt ihn aufrecht.
Liadan verharrte nicht länger. Ohne den Blick vom Korallenfürsten zu nehmen, kletterte auch sie zurück an Deck und kam neben ihm zum Stehen. Leise vernahm sie ein Murmeln, eine ständige Litanei aus Worten, von denen sie nur wenige verstehen konnte. »Führt sie zusammen, führt sie zusammen… in Frieden … führt sie zusammen … in Sicherheit.« Er presste die Augen fest zu, wiederholte immer wieder die Worte und rang sichtlich um Atem. »Bringt sie in Sicherheit, bringt sie in Sicherheit.« Sein Körper sank gegen die Bordwand, als hätte ihn eine Böe einfach mit sich gerissen, und Liadan streckte erschrocken die Hand nach ihm aus, um ihn festzuhalten. Sie sah, wie er gebeugt an die Wand gelehnt auf den Beinen blieb, und da er nicht zusammenbrach, ließ sie ihre Hand in der Luft hängen, anstatt ihn zu stützen.
Er war doch ihr Feind! Sie sollte ihm nicht helfen, auch wenn das Brennen in ihrem Inneren ihr etwas anderes einflüsterte. Eine leise Stimme verlangte von ihr, dem Korallenfürsten näherzukommen, ihn zu halten, doch stattdessen ließ sie ihre Hand sinken.
»Was ist geschehen?« Ihr Blick fiel aufs Meer hinaus, der Abgrund war verschwunden und die Magie des Korallenfürsten erloschen. Ihr erster Gedanke war, dass sich der Korallenfürst im Kampf gegen die Magierin und gegen die Schattenkristalle verausgabt hatte, doch etwas in ihr wusste, dass seine Zerstörung nicht daran lag.
Der Korallenfürst richtete sich mühsam auf, blickte jedoch weiterhin zu Boden. »Sie haben Nayla zu ihm gebracht. Er hält sie fest. Sie gehen zusammen.«
»Wer hat Nayla wohin gebracht?«
»Die Meerjungfrauen. Sie haben die beiden zusammengeführt. Sie bringen sie fort. In die Tiefe. In Sicherheit.«
Liadan verstand nicht richtig, was vor sich ging, doch sie ahnte, dass die Gestalt auf der Kristallkönigin der Feuerprinz gewesen war. Und wenn Nayla tatsächlich etwas zugestoßen war, dann hatte der Pirat seinen Schwur erfüllt. Der Korallenfürst hatte auf einen Schlag zwei seiner Kapitäne verloren. Was sollte sie dazu sagen?
»Freut Euch nicht zu früh«, hörte sie ihn plötzlich knurren. Er hob seinen Kopf und sah sie an, sein Antlitz von einer ungewohnten Kälte und Dunkelheit erfüllt, seine Augen hatten jede Wärme verloren. »Ihr habt noch nicht gewonnen. Wir kämpfen für die gerechte Sache. Grausamkeit und Willkür werden niemals obsiegen.«
Liadan schwieg, denn was sollte sie darauf erwidern? Sie hatten oft genug über die Schattenseiten der Magie und die gepeinigten Menschen gesprochen. So stand sie nur da und ließ seinen von Bitterkeit erfüllten Blick auf sich ruhen, während der Wind noch an Stärke zunahm und ihr fast das Kleid vom Leibe riss. In den Augen des Korallenfürsten war sie für den Tod seiner Kapitäne
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