Elfenschiffe (Mithgar 03)
haben.«
»Tatsächlich?«
Jatu nickte. »Manche sagen sogar, der Schatten sei die Seele einer Person, und wenn man ihn mit einem verzauberten silbernen Messer um Punkt zwölf am längsten Tag des Jahres abscheidet, sei er für immer verloren – ebenso wie sein Besitzer, da er seine unschätzbar wertvolle Seele verlöre.«
»Aber das glaubt Ihr doch nicht wirklich, Jatu, oder?«
»Vielleicht glaube ich es, vielleicht nicht. Aber sollte ich je einen Menschen oder ein anderes Wesen ohne Schatten sehen, weiß ich, dass ihm die Seele abhanden gekommen ist.«
»Würdet Ihr davonlaufen?«
»Das hängt davon ab, Winzige. Das hängt ganz davon ab.«
»Wovon?«
»Davon, ob eine Notwendigkeit zur Flucht bestünde.«
»Aha.«
Wieder nahm Jatu eine winzige Kurskorrektur vor. Nach einem Augenblick der Überlegung sagte er: »Aber das ist nur eine Geschichte über Schatten und ihre Macht. Es gibt auch noch andere Geschichten.«
Jinnarin schaute fragend zu dem Tchangarer empor. »Andere Geschichten?«
»Aye. Würdet Ihr gern eine hören?«
»Allerdings.«
Jatu überlegte kurz und begann dann.
»Vor langer Zeit, hoch im Norden von Tchanga, jenseits der hohen Berge, in denen die Adler fliegen, wo der Dschungel längst Grasland gewichen und das Grasland längst in Wüste übergegangen ist, also im Herzen dieser sengenden Einöde lebte einst ein Dämon an einem Kristallteich in einem üppigen Hain mit Granatapfelbäumen. Ihr müsst Euch darüber klar sein, dass dies ein wunderbarer Ort war, inmitten dieses sandigen Glutofens, denn in solchen Gegenden ist Wasser unschätzbar wertvoll, und noch dazu das kostbare Geschenk von Granatäpfeln zu haben… aye, es war, als sei ein Teil des Paradieses selbst auf die Erde gefallen.
Nun begab es sich eines Tages, während der Dämon in der goldenen Stadt auf der anderen Seite der Welt weilte, um sich um einige seiner zahlreichen Angelegenheiten zu kümmern, dass ein junger Mensch, dessen Karawane von Räubern angegriffen und er selbst für tot gehalten worden war, durch den glühenden Sand der Wüste stolperte, fiel, wieder aufstand, nur um nach ein paar Schritten wieder zu stürzen. Dies wiederholte sich so oft, bis der junge Mann im Delirium war und – nur noch eine Haaresbreite vom Tod entfernt – bäuchlings über die letzte Düne und in die Oase des Dämons kroch.
Da sah der junge Mensch den Kristallteich, tauchte den Kopf hinein und trank ausgiebig.
Im gleichen Augenblick, auf der anderen Seite der Welt und in der goldenen Stadt, schrie der Dämon laut: ›Jemand stiehlt mein Wasser!‹ Und voller Zorn erhob er sich in den Himmel und raste um die halbe Welt zurück.
Doch ehe der Dämon die Oase erreichte, pflückte der junge Mann bereits einen Granatapfel von einem der Bäume und biss herzhaft hinein, sodass ihm der rote Saft über das Kinn lief und auf den Boden tropfte.
Und der Dämon, der an dieser Stelle die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, kreischte: ›Jemand stiehlt meine Granatäpfel!‹
Rasend vor Zorn flog der Dämon weiter, und als er in seiner Oase ankam, traf er den erschöpften jungen Menschen, der mittlerweile seinen Hunger und Durst gestillt hatte, schlafend an.
Der erzürnte Dämon streckte seine langen Krallen aus und war kurz davor, den jungen Menschen in Stücke zu reißen. Doch plötzlich besann sich der Dämon. ›Ich könnte ihn mit meinen gewaltigen Krallen in Stücke reißen, aber würde er dann wirklich so leiden, wie er leiden sollte? Nein! Er wäre tot, bevor er überhaupt erwachen würde. Und so leicht will ich ihn nicht davonkommen lassen. Vielmehr will ich ihn den Rest seines Lebens leiden lassen für seine schändlichen Missetaten.‹
So zog der Dämon seine schwertartigen Krallen wieder ein und zerriss den jungen Menschen nicht. Vielmehr ging er in seine Schmiede und machte sich daran, einen magischen Nagel zu fertigen, wobei er die ganze Zeit vor sich hinmurmelte.
Der Lärm des Blasebalgs, das Hammerklirren und das Tosen des Schmiedefeuers weckte den jungen Menschen, und als er sich auf die Suche nach dessen Ursprung machte, fand er alsbald die Schmiede. Als er den Dämon bei der Arbeit sah, bekam er furchtbare Angst, doch er kauerte sich hinter einen Felsen und beobachtete und belauschte, was an der Esse geschah.
Und zwischen gewaltigen Hammerschlägen hörte er den Dämon fluchen: ›Stiehlt mein Wasser, ja?‹ Klirr! ›Und isst auch noch meine Granatäpfel?‹ Klirr! ›Damit nagele ich ihn auf ewig fest.‹ Klirr!
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