Elfenstern
Paithan überraschend. Er
hatte
die feste Absicht, mit ›Ja‹ zu antworten, aber
plötzlich stand ihm das Bild
seiner älteren Schwester vor Augen. »Ich –
ich …«
»Sieh mal, ich versuche nicht etwa, Regas Ehre
zu verteidigen. Wir hatten nie welche, keiner von uns, den Luxus
konnten wir
uns nicht leisten. Unsere Mutter war die Dorfhure. Auch Rega ist schon
durch
etliche Betten gehüpft, aber du bist der erste Mann,
für den sie etwas zu
empfinden scheint. Ich lasse nicht zu, daß man ihr weh tut.
Du verstehst, was
ich meine?«
»Du hast sie sehr lieb,
stimmt’s?«
Roland zuckte die Schultern, wandte sich brüsk
ab und ging weiter. »Unsere Mutter verließ uns, als
ich fünfzehn war und Rega
zwölf. Danach hatten wir nur noch uns. Wir mußten
uns allein durchschlagen und
haben nie jemanden um Hilfe gebeten. Also hau ab, und laß uns
in Ruhe. Ich
werde Rega erzählen, du hättest es nicht abwarten
können, nach Hause zu kommen,
um deine Familie zu warnen. Sie wird es sich zu Herzen nehmen, aber
nicht so
sehr, als wenn du – nun ja, du weißt
schon.«
»Ja, ich weiß«, sagte Paithan.
Roland hat recht.
Ich sollte auf der Stelle gehen. Regas und meine Liebe ist zum
Scheitern
verurteilt. Ich weiß es, wußte es von Anfang an,
aber noch keine Frau hat mir
so den Kopf verdreht wie Regal.
Sein Verlangen war so stark, daß es schmerzte.
Als sie ihn vorhin umarmt hatte, als er ihr in
die Augen sah und das Versprechen darin las, glaubte er, es nicht
ertragen zu
können. Heute nacht würde es geschehen! Heute nacht
würde er sie lieben.
Und sie morgen verlassen?
Dann nehme ich sie mit – mit nach Hause zu
Calandra. Er konnte sich die Entrüstung seiner Schwester
ausmalen, ihre
ätzenden Bemerkungen. Nein, das war unzumutbar, das hatte Rega
nicht verdient.
»He.« Roland stieß ihm den
Ellenbogen in die
Seite.
Paithan schaute auf und merkte, daß sie das
Gasthaus erreicht hatten. Ein Ritter hielt vor der Tür Wache;
sein Blick glitt
über Roland hinweg, durchbohrte Paithan und wanderte zu
Drugar, der hinter
ihnen stand.
»Geht hinein«, forderte der Ritter sie auf
und
öffnete die Tür.
Paithan trat über die Schwelle und blieb
verdutzt stehen. Er hätte die Schänke nicht
wiedererkannt. Den Gastraum hatte
man in ein Arsenal verwandelt. Schilde mit den Wappen der einzelnen
Ritter
lehnten an den Wänden, davor lagen säuberlich
aufgereiht ihre Waffen. In der
Mitte des Zimmers hatte man noch mehr Waffen aufgestapelt, vermutlich,
um sie
im Ernstfall an die Bevölkerung zu verteilen. Paithan
entdeckte auch
Elfenwaffen bei der Ausrüstung der Ritter, aber nicht sehr
viele.
Der Raum war leer, bis auf einen offenbar
adligen Herrn, der essend und trinkend an einem der Tische
saß.
»Das ist er«, sagte Roland aus dem
Mundwinkel.
Lathan war ein junger Mann, nicht älter als
achtundzwanzig Jahre. Er sah recht gut aus, mit dem schwarzen Haar und
Schnurrbart des Herrscherhauses von Thillia. Wegen einer gezackten
Narbe an der
Oberlippe schien er ständig höhnisch zu
lächeln.
»Verzeiht mir, daß ich so unmanierlich
bin, in
eurer Gegenwart zu speisen«, begrüßte er
sie, »aber ich habe den ganzen letzten
Zyklus nichts bekommen.«
»Wir hatten auch nicht eben reichlich zu
essen«,
sagte Paithan.
»Oder zu trinken«, fügte Roland
hinzu und
beäugte den vollen Humpen des Ritters.
»Es gibt noch andere Wirtshäuser in der
Stadt«,
meinte Sir Lathan. »Wirtshäuser für
Gäste eures Schlages.« Er schaute lange
genug von seinem Teller auf, um dem Elf und dem Zwerg einen
bedeutungsvollen
Blick zuzuwerfen, dann widmete er sich wieder dem Essen. Er schob sich
ein
Stück Fleisch in den Mund, kaute und spülte es mit
Bier hinunter. »Nachschub!«
rief er und schlug mit dem Krug auf den Tisch. Der Wirt erschien, einen
mürrischen Ausdruck auf dem Gesicht.
»Diesmal«, sagte Sir Lathan und warf ihm
den
Humpen an den Kopf, »zapfst du aus dem guten Faß.
Ich will ein ordentliches
Bier, nicht diese fade Brühe.«
Der Wirt runzelte finster die Stirn.
»Mach dir keine Sorgen. Die Rechnung wird aus
der königlichen Schatzkammer bezahlt.«
Das Gesicht des Wirts verfinsterte sich noch
mehr. Sir Lathan musterte ihn kalt. Der Wirt bückte sich nach
dem Krug und
verschwand.
»So, du bist also im Norinth gewesen, Elf. Was
mag dich dorthin geführt haben, und weshalb bist du mit so
einem unterwegs?«
Der Ritter zeigte mit der
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