Elfenwinter
Herzen lesen?«
»Ist es eine Schande, die Wahrheit nicht verbergen zu können?«
Der junge Kriegsjarl seufzte. »Es ist wohl leichter, den Wind mit Händen zu fangen, als von dir eine eindeutige Antwort zu bekommen, Herzog.«
»Nur wenn du mich etwas fragst, worauf du die Antwort schon in deinem Herzen trägst.« Alfadas musste schmunzeln. Er konnte die Verzweiflung des jungen Kriegsjarls gut nachvollziehen. Er selbst hatte einst dutzende Gespräche wie dieses mit seinem Schwertmeister und Ziehvater geführt. Damals war er es gewesen, der an den Antworten schier verzweifelt war. Erst die Jahre hatten ihn gelehrt, dass sie mehr gewesen waren als nur Ausflüchte vor unbequemen Fragen. Und er hatte gelernt, der Stimme seines Herzens zu folgen. Jedenfalls meistens.
Lysilla, die weißhaarige Elfe, tauchte wie ein Geist aus dem Schneetreiben auf. Tief über die Mähne ihres Schimmels gebeugt, preschte sie an ihnen vorbei.
»Sie sind unheimlich«, sagte Mag. Er sprach so leise, dass der Sturm fast seine Worte verschlang. »Seit wir auf dem goldenen Pfad waren, hat mein Bruder schreckliche Angst vor dem Tod. Er fürchtet, dass er wie die Dunkelheit ist, durch die wir gegangen sind: ein endloser Schrecken.«
Alfadas zögerte kurz, dann entschloss er sich zu lügen. »Wir alle haben den Pfad aus goldenem Licht gesehen, als wir durch die Finsternis gingen. Diesen Pfad gibt es in unser aller Leben. Großmut, Tapferkeit und unser Sinn für Gerechtigkeit sind die Wegweiser auf diesem Pfad. Wenn wir ihn niemals verlassen, dann wird er uns aus dem Leben hinaus zu den Hallen der Götter führen, so wie uns der goldene Pfad durch die Finsternis in die Welt der Albenkinder führte.«
Mag nickte ernsthaft. Er wirkte erleichtert.
Alfadas fühlte sich elend dabei, voller Inbrunst über etwas zu reden, wovon er nicht wirklich überzeugt war. Mag hingegen schien völlig vergessen zu haben, dass er ihm eben noch vorge-worfen hatte, nicht an die Götter zu glauben. Doch wer wusste schon eine ehrliche Antwort? Was nach dem Tod kam, war allein eine Frage des Glaubens.
»Herzog!« Ollowain galoppierte die Kolonne entlang.
»Hier!« Alfadas trat aus der Reihe der Marschierenden.
Der Schwertmeister parierte sein Pferd und sprang aus dem Sattel. »Sie sind hier. Keine halbe Meile voraus. Die Trolle! Es hat begonnen.«
Einige der Männer blieben stehen und blickten zu ihnen hinüber. Alfadas war sich jedoch sicher, dass sie im Sturmgeheul nicht verstehen konnten, was gesprochen wurde. »Wie viele sind es?«
»Ich weiß es nicht. Lysilla hat sie entdeckt. Sie greifen die Elfen vom Rosenberg an. Wir müssen ihnen helfen.« Alfadas' Gedanken überschlugen sich. Alles war anders, als er es geplant hatte.
»Haltet die Kolonne an«, schrie er den Marschierenden zu. »Ruft alle Kriegsjarls!« Sein Plan war es gewesen, die Trolle durch einen Pfeilhagel gegen einen Wall aus Piken anstürmen zu lassen, doch nun hatte sich alles ins Gegenteil verkehrt. Sie würden angreifen müssen. Und das schnell! Bogenschützen hatten im dichten Schneetreiben keinen Wert. Ebenso die große Formation der Pikenträger. Für einen Angriff auf einen unsichtbaren Gegner waren sie zu schwerfällig.
Als sich die Unterführer versammelten, befahl er den Bogenschützen und den Pikenträgern, eine Verteidigungslinie zu bilden, um den übrigen Truppen einen Rückhalt zu geben. Die Männer mit den Stangenbeilen und die Schwertkämpfer ließ er in lockerer Linie antreten. Sie würden den Angriff führen, und die Elfen sollten sich entlang der Schlachtreihe verteilen, um ihre Waffenbrüder, so gut es ging, zu unterstützen. Graf Fenryl stand bei den Unterführern und beobachtete scheinbar gelas-sen, wie Alfadas' Befehle ausgeführt wurden. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, bis sich die Schlachtreihe formiert hatte. Man musste sehr genau hinsehen, um zu bemerken, wie sich Fenryls Hand um seinen Schwertgriff schloss und wieder entspannte. Immer und immer wieder. Irgendwo dort draußen im Schneetreiben waren seine Frau und sein Kind. Und ihm blieb nichts übrig, als zu warten, bis die Menschen bereit waren.
Alfadas schritt die ganze Reihe der Männer ab, bevor er den Befehl zum Angriff gab. Ihr erstes Gefecht durfte kein Fehlschlag werden. Die Moral der Krieger würde sich nie wieder davon erholen. Die Männer von Lambi und Ragni bildeten die erste lockere Reihe. Darauf folgten die jungen Krieger aus Hor-sas Leibwache. Dann erst kamen die Kämpfer mit den
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