Elfenwinter
der Treppe erreicht. Silwyna deutete auf frische Schrammen im Holz. »Dieser Holde hat es tatsächlich geschafft, das Boot auf Kurs zu halten.« Sie bückte sich und hob einen feinen Holzsplitter auf. »Hoffentlich hält der Rumpf noch dicht.«
Vor ihnen erstreckte sich eine dunkle Wasserlandschaft. Glatte schwarze Flächen, durchzogen von niedrigen Inseln. Auf den meisten Inseln wuchsen Bäume, aus deren Geäst geisterhafte weiße Barte hingen. Wurzeln stachen senkrecht wie die Speere von Fallgruben aus dem Schlamm. Nebelbänke hingen dicht über dem Wasser. Hier gab es keine Lichter mehr. Hinter ihnen erklang der Ruf eines Horns.
»Sie haben die Toten gefunden. Wir sollten uns jetzt beeilen.« Silwyna deutete auf das Ende der Schrammenspur auf dem Steg. »Hier haben die Kentauren das Boot zu Wasser gelassen.« Sie hob den Kopf, witternd wie ein Spürhund. »Ihr Vorsprung ist noch nicht sehr groß. Wir werden sie einholen.«
Ollowain brauchte ihre Hilfe. Sie ließ ihn vom Steg herab, so-dass er sich an einen der Pfähle klammern konnte. Das Holz war weich, zerfressen von Wasser und Zeit. Es roch vermodert. Das Wasser selbst war lauwarm und fühlte sich träge an. Nicht wie in den Zisternen oder in einem Quellbach. Es hatte etwas Anschmiegsames und zugleich Schleimiges. Es war dichter, als Wasser sein sollte. Fauliger Geruch trieb mit dem Nebel. Ollo-wains Füße versanken in Schlamm.
Zwischen den Pfählen des Landungsstegs trieben Leichen. Die Gesichter zeichneten sich als blasse Flecken im dunklen Wasser ab.
Silwyna und der überlebende Gardist ließen sich am Steg hinabgleiten. Die beiden griffen ihm unter die Arme. Ollowain starrte den jungen Mann an. Er kannte sein Gesicht, konnte sich aber nicht mehr an seinen Namen erinnern. Er sollte die Namen seiner Männer kennen! Zumindest das war er ihnen schuldig.
»Wir werden versuchen zu schwimmen, so gut es geht«, flüsterte Silwyna. »Im Schlamm zu waten ist zu laut und zu anstrengend.«
Ollowain ließ sich von den beiden ziehen. Das warme Wasser entspannte seine schmerzenden Glieder. Langsam fühlte er sich besser. Der Mond war hinter dem Horizont verschwunden. Nicht mehr lange, und es würde dämmern. Es war die beste Zeit für eine Flucht durch die Mangroven. Der Atem der ersterbenden Nacht brachte Nebel.
Nach einer Weile schwamm der Schwertmeister aus eigener Kraft. Er hatte Glück gehabt. Ein paar üble Prellungen, sonst hatte er nicht viel abbekommen. Er schuldete Silwyna sein Leben. Einen Herzschlag noch, und Urk hätte ihn mit seinem riesigen Steinhammer zerschmettert.
»Sie sind ganz in der Nähe. Hörst du das?«, fragte die Bogenschützin.
Ollowain lauschte in den Nebel. Da war ein schmatzendes Geräusch.
»Das sind die Kentauren«, flüsterte Silwyna. »Sie müssen in seichtes Wasser geraten sein. Dort entlang.« Sie deutete auf eine dichte Nebelbank und schwamm voraus. Bald war sie zwischen den treibenden Dunstschleiern verschwunden. Allein das leise Schmatzen wies Ollowain den Weg. Und dann sah er sie. Er war ihnen so nahe gekommen, dass er den hintersten der Kentauren fast berührt hätte. Das Boot war nur ein undeutlicher Schemen. »Orimedes?«
Sofort verstummte jedes Geräusch.
»Ich bin es, Fürst. Ollowain.«
»Das ist sein Geist«, hörte er Gondoran flüstern.
»Unsinn!« Ein Schatten löste sich vom Boot und bewegte sich mit schmatzenden Schritten in Ollowains Richtung. »Schwertmeister?« Der Kentaur packte ihn bei den Schultern und hob ihn hoch. Ein blitzendes Lächeln zerteilte den Bart des Pferdemanns. »Verdammt gut, dich wieder zu sehen.«
Ollowain brachte keinen Ton heraus. Stechender Schmerz brannte in seinen Gliedern. Tränen traten ihm in die Augen.
Orimedes setzte ihn ab. »Das hätte ich nicht gedacht, dass dich die Wiedersehensfreude zu Tränen rühren könnte. Ihr Elfen versteckt eure Gefühle zu gut, mein Freund.« Er klopfte Ol-lowain auf die Schulter. »Den Alben sei Dank, dass du es geschafft hast!«
»Ich bin nicht allein«, stieß der Schwertmeister gepresst hervor. »Eine Bogenschützin hat mir das Leben gerettet. Und einer meiner Männer hat es auch geschafft.«
Gemeinsam wateten sie zum Nachen. »Wie geht es der Königin?«, wollte Ollowain wissen.
Der Kentaur zuckte mit den Schultern. »Unverändert. Sie regt sich nicht. Auch die Verräterin liegt ganz still.« Hinter ihnen erklang der lang gezogene Ruf eines Hornes.
Orimedes senkte die Stimme. »Sie sind auch hier in den Sümpfen. Mistkerle. Wenn
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