Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt - Schartz, S: Elfenzeit 1: Der Hauch der Anderswelt
möchte den Lesern seine Gefühle hautnah bringen – vorher und nachher. Ich glaube, das ist gerade in dieser Phase seiner Karriere wichtig. Er soll zur Identifikationsfigur werden.«
»Ja, ich verstehe schon, aber …« Madeleine vergewisserte sich, dass niemand in der Nähe war, und beugte sich vertraulich zu ihnen. »Hören Sie, ich kann Sie nicht daran hindern, wenn Sie sich hier ein wenig umschauen. Wenn Sie dann zufällig über seine Garderobe stolpern …«
»Er hat eine eigene Garderobe?«
»Ja, er ist schließlich der Star. Ich weiß nicht genau, wo sie ist. Ich glaube, ich habe seinen Namen mal irgendwo auf der linken Seite gesehen, so gegen Ende dieses Gangs.« Sie zwinkerte kurz. »Ich muss jetzt weiter. Viel Spaß mit der Show, und wenn Sie Fragen haben, werden wir Ihnen gern behilflich sein! Und nehmen Sie doch ein paar Brötchen, nachher wird nichts mehr übrig sein. Sie bleiben doch noch zum Empfang? Es gibt Champagner.«
Madeleine reihte sich in die geschäftig hin und her eilenden Menschen ein und war verschwunden.
»Worauf warten wir?« Nadja winkte Robert auffordernd. »Finden wir Boy X!«
Niemand achtete im Trubel auf sie. Die beiden Journalisten trugen die Backstage-Karten offen und waren damit berechtigt, sich überall aufzuhalten. Die Gänge waren wie in jedem Studio nüchtern und grau, mit vielen Türen links und rechts, durch die hektisch wirkende Menschen eilten. In den meisten Räumen waren Fernseher aufgestellt, die die Proben zeigten, mit eingeblendeter Uhr. Die Regie probte die Kameraeinstellungen und die Einblendungen der Sponsoren der Sendung. Eine Durchsage rief einige der Interpreten zum Standfoto in Raum B108. Andere sollten in die Maske kommen.
Robert verharrte vor einer Tür auf der linken Seite. »Hier.« Der Name von Boy X war angebracht. Er klopfte und öffnete. Beinahe wäre er mit einem jungen Mann zusammengeprallt, der Boy X ähnlich sah; nur waren seine Gesichtszüge sehr viel gröber.
»Sie können hier jetzt nicht rein!«, schnauzte er Robert an.
Nadja schob sich nach vorn. »Pardonnez-moi, wir haben eine Verabredung mit Boy X«, sagte sie höflich. »Wir haben uns heute Nachmittag getroffen.« Sie streckte die Hand aus. »Gestatten, Nadja Oreso, und das ist mein Kollege und Fotograf Robert Waller, beide aus Deutschland.«
»So, Sie sind das.« Der junge Mann, er mochte etwa drei Jahre älter sein als Boy X, musterte sie misstrauisch. »Ich bin Charles, Boys Bruder. Ich begleite ihn zu diesem Auftritt. Ist ja klar, nicht wahr? Bei so einem aufregenden Ereignis muss man seine Familie um sich haben.«
Nadja nickte. Sie spähte an Charles vorbei und sah Boy X vor dem großen, beleuchteten Garderobenspiegel sitzen. Er starrte hinein, seine Lippen bewegten sich in stummer Rede.
Das Beunruhigende war, dass Boys Spiegelbild irgendwie schwach wirkte, wie ein Foto, das langsam vergilbte. Oder, vielleicht passender, der schwindende Druck auf einem Thermopapier. Seine Augen waren groß und leer, schlimmer noch als am Nachmittag.
Und dann … hatte Nadja das Gefühl, als wäre da im Spiegel … noch jemand. Der … herausblickte. Ein Schemen mit glühenden Augen. Doch es war außer den Brüdern sonst niemand anwesend, und weder Nadja noch Robert konnten sich spiegeln.
Nadja spürte, wie sich ihr die Armhaare aufstellten, als wehte ein eiskalter Wind darüber. Unerklärliche Furcht ergriff sie. Besorgt sah sie Charles an. »Ist alles in Ordnung? Vielleicht können wir …«
»Gehen Sie einfach! Lassen Sie Boy in Ruhe. Sie können ihn nach dem Auftritt interviewen.«
»Wie schade«, sagte Robert. »Er hatte uns zugesichert …«
»Ist sie es?«, erklang da Boys Stimme.
Charles drehte den Kopf. »Ja.«
Nadja schob sich leicht an Charles vorbei und winkte lächelnd. »Hallo, Boy, Sie erinnern sich?«
»Natürlich«, sagte der junge Sänger mit verklärter Miene. »Ich kenne Sie. Wollen Sie in den Spiegel sehen?«
Charles verstellte Nadja den Weg. »Nicht jetzt«, sagte er, heiser vor Sorge.
»Er will mich sehen.« Nadja wollte sich nicht so einfach abwimmeln lassen. Jetzt erst recht nicht.
Der junge Mann hob die Hand. »Na schön, mein Bruder ist um neun Uhr dran. Sie können ihn hinter die Bühne begleiten, vielleicht hilft ihm das sogar gegen sein Lampenfieber. Und sobald sein Auftritt beendet ist, können Sie ihn für eine halbe Stunde haben. Aber jetzt gehen Sie bitte. Bitte! Zwingen Sie mich nicht, unangenehm zu werden.«
»In Ordnung«, sagte Robert und
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